III. ZEITSCHRIFTENSCHAU AUGUST BRUNNER S. J. Wunder Stimmen der Zelt. Herausgreg-eben von Anton Koch S. J., München Herder- Verlag-, Freiburg i. Br., 73. Jahrgang, 9. Heft, 142. Bd., 194 Der Verfasser, auf dem Boden katholischer Lohre stehend, unternimmt es, die Stellung der gegenwärtigen Menschheit zum Begriff des Wunders kritisch zu untersuchen und das Positive herauszustellen, was zu diesem umstrittenen Pro- blem gesagt werden kann. Er vergleicht zunächst das Verhalten des mittel- alterlichen und des modernen Mensehen dem Begriff des Wunders gegenüber. Der heutige Mensch hat nicht mehr die Weltanschauung des Mittelalters. „Wie das ganze antike und mittelalterliche Denken Ausnahmen im Naturgeschehen selbstverständlich voraussetzte und sie durch den Augenschein Tag um Tag be- stätigt, fand, so leben wir heute von der entgegengesetzten Voraussetzung, daß die stoffliehen Ursachen immer auf die gleiche Weise wirken und daß Aus- nahmen unmöglich sind." Was ist ein Wunderl Der Verfasser hätte vielleicht am Anfang seiner Aus- führungen hierüber eine deutliehe Erklärung zu geben versuchen sollen. Ein Wunder ist doch wohl ein Geschehnis, das eine Ausnahme der Naturgesetze darstellt, das mindestens aus den Erfahrungen, die über die Wirkungen der Naturgesetze gesammelt werden konnten, nicht erklärt werden kann. „Sind Wunder möglich, so kann es, meint man, keine Naturgesetze mehr geben. Daß es" — so sagt Brunner — „aber solche gibt, das beweist die ganze Natur- wissenschaft." Wunder, die man erklären könnte, wären keine Wunder. Dem it also nur die Wahl zwischen Naturwissenschaft und ist, so kann modernen Menschen sc) Wunderglanben zu ble zweifelhaft sein." nach Bn r der Begriff „Naturgesetze" keineswegs mehr durch eine solche Exaktheit gekennzeichnet, wie wir bislang anzunehmen gewohnt waren. Di, paktheu i da h iö ®w ' üb w »rsebftttert * m i r > gleich Ort, Zeit und Wirkung eines Eloktrons oder eine» andern letzten Teil« des Stoffes genau feststellen kann. Es bleibt immer eine gewisse Ungenauigkeit". Man hat daraus schließen wollen, daß hier dem Wunder der Zutritt offenstehe. Aber sobald das Wunder zu einem zwar ausnahmsweisen aber natürlichen Ge- schehen würde, wäre es eben kein Wunder mehr. Das Wunder hat aber gerade zur Voraussetzung, daß es nicht erklärt werden kann, wenn auch „dem Physiker dabei nicht wohl ist". Die Betrachtungen Brun- ners, die sich um „metaphysische" Vorgänge im wahrsten Sinn des Wortes drehen, können deshalb, von seinem Standort aus gesehen, nur bei einem göttlichen Urheber de3 Wunders enden. „Es gibt kein Naturgesetz, das mit Recht behaupten würde, Gott könne das Sein des Stoffes nieht unmittelbar so ändern, wie er es wolle, vorausgesetzt, daß dieser Gott von absoluter Freiheit ist." Ob es einen solchen Gott gibt, dafür ist nach Brunnor die Naturwissenschaft nicht zuständig. Die Frage ist rein philosophisch und theologisch. Aber haben wir damit nicht bei der schon erwähnten Wahl zwischen Natur- wissenschaft und Wunderglauben uns für den letzteren entschieden? Nach Brun- ners Ausführungen will es so scheinen. „Denn die Möglichkeit der Wunder ein- fach leugnen, heißt das Weltgeschehen zu einem notwendigen Ablauf machen, in den der Mensch mit seiner armseligen und schwachen Freiheit hilflos und ret- tungslos hineingeworfen ist. so wie gewisse Spielarten der Existentialphilosophie uns glauben machen wollen. Ein bo ohnmächtiger Gott, ohnmächtiger als der Mensch, ist kein Gott." Es ist verständlich, daß der strenggläubige Verfasser eine weitere Möglichkeit der Einstellung zum Wunder nicht erwähnt hat. E3 ist das Eingeständnis, für das Wunder eine Erklärung weder in physisehem noch metaphysischem Sinne fin- den und anerkennen zu können und sich mit dieser schicksalhaften mensch- lichen Unzulänglichkeit abzufinden. Darin liegt ein© gewisse Ehrfurcht, die Graf Keyserling in seinem letzten Buche — das „Buch vom Ursprung" — im letzten Kapitel mit der Überschrift „Das Wunder" so lebendig aufgerufen hat. Wir finden dort den Satz: „Darum wollen auch nur Ehrfurchtsunfähige auf alle, auch auf die dümmsten Fragen eine klare Antwort haben", und einen zweiten Satz, der lautet: „Wie reich ist die Welt jedes Menschen, für welchen es viel Wunder und Wunderbares gibt, gegenüber der des Nüchternen!" 95 Universitas 1505 MANFRED SCHRÖTER Von Hegel zu Spengler Zeitwende. — Monatsschrift, herausgegeben von Fr. I,an Zeitwende- Verlag, München, 20. Jahrgang, J&ettX» 1948 Unter dem Begriff „UntergangBphilosophie" versteht Schröter jene sophte, die in Zeiten von Kulturkrisen sich mit der kommenden Erschütterung vorausschauend befaßt. Er führt zu Beginn seiner Ausführungen typische Bei- spiele derartiger philosophischer Weltbetrachtung an, die fast prophetisch an- muten, so besonders die Gedanken, die Heine in seiner Schrift »Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" zum Ausdruck gebracht hat. Wenn man heute diese Heineschen Prophezeiungen liest, so klingen sie fast unglaub- haft: „Dann wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erseheinen müßte. . . . Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilieh au oh ein deutscher und kommt etwas langsam herangerollt, aber kommen wird er, und wenn ihr es einst kraehen hört, wie es noch nie in der Welt- geschichte gekracht hat, so wißt ihr, der deutsche Donner hat endlieh sein Ziel Damals, als Heine diese düstere Vorausschau beschrieb, waren kaum irgend- welche erkennbaren Anzeichen für die kommende Gefahr vorhanden, höchstens „daß im Spiegel philosophischer Besinnung «ich zu jener Zeit die ersten Wider- sprüche gegen Hegels Optimismus anzukündigen begannen". Erst langsam wurde in der Gedankenwelt der deutschen Denker das Heranuahen der gewaltigen Krise, das Zuendegehen einer Epoche — ein Untergang — fühlbar. Schopenhauer mit seinem Weltbild der Verneinung, die Metaphysik S o h e 1 1 i ng e , der mate- rialistische und sozialistische Umdeuter Hegelscher Metaphysik, Karl Marx, dessen Untergangsthese die besitzende und bürgerliche Klasse trifft, sind einige jener Künder, die eine völlige Umschichtung der Kulturwelt ahnen ließen. Bald darauf sieht „der größte Kulturkritiker" dieses Jahrhunderts, Jakob Burok- hardt, die Gefahr des europäischen Kulturverfalls voraus: Das Nivellement der Massen, wie er es nennt, und sein notwendiges Korrelat, den Cäsarismus gewalt- tätiger, machtgieriger Despoten, der fürchterlichen Vereir.f acher. Ein Schüler Burckhardt» war Nietzsche. Aus ihm spricht nicht mehr nur die tiefe Resignation seine» Lehrers. Seine Philosophie ist ein ständiger flammender Protest; ein Auf ruf «regen \ u< ••• - . • ' . « - , die ei kommen, sieht; * s Kv.1 u b egt s i sei langei nl et Tortur der „denn die ganze europäische Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, auf eine Katastrophe loa die Heraufkunft des .Nihilismus' " (Eingangsworte zu „Der Wille zur Macht"). Als letzten in der Reihe führt Schröter noch Oswald Spengler an, der als ein Jünger und Fortführer Nietzsches erscheinen könnte, nur daß für ihn die Katastrophe sich nicht mehr erst nähert, sie steht bereits unmittelbar bevor. So sieht Schröter im Bewußtsein der Untergangsphilosophie einen deutlich wahr- zunehmenden Fortschritt „von der Dämmerungserkenntnis Hegels über das Wetter- leuchten von Heines Vision zu Burckhardt, Nietzsche und Spengler. Burckhardt trauert, Nietzsche warnt noch, Spengler konstatiert". Schröter geht nun zur Unter- suchung der Frage über, mit welcher Berechtigung gegen die letzten in der Reihe der „Untergangsphilosophen", nämlich Nietzsche und Spengler, der Bohwere Vor- wurf erhoben werde, „mit all ihrer Machtverherrlichung und dem brutalen Recht rles Stärkeren nun selbst derartige Instinkte aufgepeitscht und damit das Ver- hängnis mit herauf geführt zu haben". Es ist die gleiche Frage, die Heine einst aufgeworfen hatte, als er die Sehriften und Gedanken Voltaires, Diderots und Roussoaus als Vorbereiter der Henker und Schlächter der Terrorzeit von 1792 bö- dmete („der Gedanke will Tat. das Wort will Fleisch werden"), aröter kommt zu der sehr richtigen Erkenntnis, daß der innere Zusammenhang Untergangserkenntnis und wirklichem Untergang „von weit tieferer und schicksalhafter Art ist", als es der genannte Vorwurf meint, die Schriften Nietz- sches und Spenglers hätten den Zusammenbruch mit vorbereitet. Es ist für ihn kein Zweifel möglich, daß das Dritte Reich sich völlig ebenso entfaltet hätte, auch wenn keine Zeilo Nietzsches oder Spenglers je geschrieben worden wäre. Er lehnt jede Verurteilung „in Bausch und Bogen" ab und hält es für unwürdig, „an dem großen deutschen Geisteserbe unserer Vergangenheit irre zu werden und in ihm die Keime jener späteren Entartung sehen zu wollen". S o h r ö t e r s Ausführungen sollten von allen denen gelesen werden, die nicht müde werden, den deutsehen Geist schon des neunzehnten Jahrhunderts für die Katastrophe des zwanzigsten Jahrhundertß verantworlich zu machen und mit Worten zu verdammen, die (um einige Worte Schröters zu wählen) überlegene Reife und Selbständigkeit des Urteils in erheblichem Maße vermissen und die mangelnde fchauen, 1 erkennen las2ln d6n ' ™ wirklißhe Entwicklung zu über- 1506 RELIGION UND PHILOSOPHIE 35 RUDOLF OTTO Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen 29.-30. Auflage. VIII, 229 Seiten. Ganzleinen DM 13.50 „Dieses Werk, nun in seiner 30. Auflage erschienen, ist nicht nur im wissen- schaftsgeschichtlichen Sinne epochemachend gewesen, es ist auch heute noch von ungebrochener Aktualität." Oberhessische Presse, Marburg WERNER ELERT Morphologie des Luthertums i. Band: Theologie und Weltanschauung des Luthertums, hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert. Verbesserter Nachdruck der ersten Auflage. XVI, 465 Seiten. 2. Band: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums. Verbesserter Nachdruck der ersten Auflage. XV, 544 Seiten. Beide Bände zusammen in Ganzleinen DM 52.— „Die bei aller Akribie der Untersuchung doch sehr flüssige Darstellung er- scheint berufen, weit über den Kreis der Theologen hinaus zu einer Fund- grube soliden Wissens und klarer Urteile zu werden . . . Der Bau als Ganzes ist ein Meisterstück." Theologische Literaturzeitung J.J. BACHOFEN Der Mythus von Orient und Occidcnt Eine Metaphysik der Alten Welt. Mit einer Einleitung von Alfred Baeumler Herausgegeben von Manfred Schröter. Zweite AufUtge. CCXCV, 628 Seiten. Geheftet DM50.-, Ganzleinen DM 56.- „Das mit einer lückenlosen Bibliographie schließende, großangelegte Werk ist eine verlegerische Tat, zumal es sich nur an gereifte Leser wenden j die der Tiefe der Bachofen'schen Mythen-Deutung zu folgen fähig sind. Es wird ein Buch der Zukunft sein, denn diese Erkenntnisse be- ginnen erst langsam fruchtbar zu werden.'* Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe HUGO FISCHER Über die Konvergenz von Wissenschaft und A VIII, 218 Seiten. Geheftet DM 18.- RELIGION UNI) PHILOSOPHIE OSWALD SPENGLER Der Untergang des Abendlandes Herausgegeben von Helmut Wer- ner. 20.-3&. Tausend. XV, 400 Seiten. Ganzleinen DM 12.80 „Oswald Spenglers .Unter- gang des Abendlandes' ist zu einem Schlüssclwerk un- serer Zeit geworden. Die von Helmut Werner besorgte gekürzte Ausgabe in einem handlichen und preiswerten Band wendet sich an den geistig aufgeschlossenen Menschen, ,dem es heute infolge der starken Bean- spruchung in Beruf und öffentlichem Leben kaum mehr möglich ist, größere Werke zu studieren, die außerhalb der sich ständig verengenden Fachgebiete liegen*. Hoffen wir, daß auch Leser der jungen Generation zu dieser billigen Edition hinfinden werden, denn, gleichgültig wie man zu Spenglers Welt- und Geschichtsbild stehen mag: es hat den Geist unserer Zeit entscheidend beeinflußt und ist heute noch aktuell." Bücherschiff „Wie faszinierend doch auch heute noch die Lektüre gerade der gekürzten Schrift wirkt! Man kann sich der suggestiven Magic dieses genialen Ver- einfachers, der die Welt in seine kleine Studierstubc holt, nur schwer ent- ziehen. Möglich, daß ,Oer Untergang des Abendlandes', dieses in seiner Niederschrift vom Pathos des Jugendstils nicht freie Buchjunge Leser heute abstößt. Sie sollten diese Abneigung überwinden, weil sie bei weiterer Lektüre ein Gedankengebäude von großer Kühnheit erwartet, ein Gebäude, das um seiner selbst willen bestehen kann und heute, über 40 Jahre nach sei- ner Konstruktion, des Belegs durch die Wirklichkeit eigentlich schon nicht mehr bedarf." P. Hühnerfeld in der „Süddeutschen Zeitung", München RELIGION UND PHILOSOPHIE 37 OSWALD SPENGLER Der Untergang des Abendlandes Gesumimt&gabe Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte 1. Band: Gestalt und Wirklichkeit. 138.-140. Tausend. XV, 549 Seiten. 2. Band: Welthistorische Perspektiven. 110.— HS. Tausend. VII, 667 Seiten. Jeder Band in schwarzem Buckramleinen DM 24.— Von Oswald Spengler sind in unserem Verlag ferner erschienen : Jahre der Entscheidung ia7.-170. Tausend. XVI, 179 Seiten. Mit einem Vorwort von Dr. H. Kornhardt. Kartoniert DM 7.20, Ganzleinen DM9.60 Der Mensch und die Technik Beitrag zu einer Philosophie des Lebens. 54.— 5G. Tausend. VII, 62 Seiten. Englisch broschiert DM 4.80 Reden und Aufsätze Dritte, vevm&lrrte Auflage. XII, 342 Seiten. Mit einem Bild und einem Faksimile. Ganzleinen DM 13.50 Gedanken Herausgegeben von Dr. H. Kornhardt. 12.— 22. Tausend. V, 131 Seiten. Gebunden DM 5.80 Politische Schriften Volksausgabe. IS. Tausend. XV, 338 Seiten. Gebunden DM 7.80, Ganzleinen DM 9.- Politische Pflichten der deutschen Jugend SS. Tausend. 30 Seiten. Geheftet DM 1.60 Preußentum und Sozialismus 84. Tausend. VI, 103 Seiten. Kartoniert DM 4.— Ein Sonderprospekt über die Werke Oswald Spenglers liegt vor 38 RELIGION UND PHILOSOPHIE Aus meiner Kindheit und Jugend- zeit - Zwischen Wasser und Ur- wald - Briefe aus Lambarene 1924 ~ 1921 Band 60 in der Reihe ..Bücher Weise weiß Albert Schweit- zer zu erzählen und zeigt sich als scharfer Beobachter und hervorragender schcnkenner. Die Wärme und Innigkeit seines Gemütslebens wird hier Der vorliegende unter den Tausenden, der Verehrer Beachtung finden wird." Band ist eine preiswerte und geschmackvolle Ausgabe, die Albert Schweitzers Anerkennung und Reutlinger General- Anzeiger „Wer etwa noch mit einem Achselzucken fragt, „wieso ein Mensch in den Urwald geht, als ob es bei uns nicht auch genug Elend gäbe', dem geben die gesammelten Selbstzeugnisse Auskunft. Und noch eins: Von einem er- füllten Leben zu lesen, erweist sich immer wieder als die einzige Lektüre, ,von der man etwas hat'.'* Münchner Merkur „Diese schlichten Berichte, in denen die Grundzüge seines Wesens und sei- nes Werkes sichtbar werden» geben wohl das unmittelbarste und leben- digste Bild der Persönlichkeit Schweitzers wieder, die in unserer verwor- renen Zeit bereits zum Symbol der besten menschlichen Werte geworden ist. Fast schon zu sehr verehrtes, aber weit entrücktes Denkmal. Darum tut gerade dieses Buch in der ganz einfachen Erzählung der alltäglichen Pro- bleme und ihrer Bewältigung aus dem Schatz einer unerschöpflichen, aber ganz unpathetischen Güte so wohl." Düsseldorfer Nachrichten RELIGION UND PHILOSOPHIE ALBERT SCHWEITZER Kultur und Ethik tkMBnmmyßOm Sonderausgabe mit Einschluß von „Verfall und Wiederaufbau der Kultur". 371 Seiten. Ganzleinen DM 9.80 „Albert Schweitzer setzt sich hier mit der Tragödie der abendländischen Weltanschauung auseinander, mit dem Niedergang der Kultur (hauptsäch- lich) durch das Versagen der Philosophie. Aber er beläßt es nicht bei der Diagnose. Er bekennt seinen Glauben an die Möglichkeit einer Kultur- erneuerung, nennt sich selbst einen .schlichten Wegbereiter', der ,den Glau- ben an eine neue Menschheit als einen Feuerbrand in eine dunkle Zeit hinein- schleudern 1 will. Ein schlichter Wegbereiter! Es war kein Geringerer als Albert Einstein, der ausrief: .Endlich ein großer Mensch in diesem tragi- schen Jahrhundert!' In ,Kultux und Ethik* ist die wegweisende ethische Idee des »Willens zum Leben* und der »Ehrfurcht vor allem Leben* verankert, die die gesamte Arbeit Albert Schweitzers beherrscht und die als wichtigste Vor- aussetzung für die Renaissance der Kultur zu gelten hat. - Auf jeder Seite spürt man etwas von der »Unruhe einer niemals und nirgends aufhörenden Verantwortlichkeit'. Albert Schweitzer hat das, was er dachte und lehrte, immer selbst gelebt. Er ist sich stets treu geblieben." Weser-Kurier, Bremen Neben diesen Sonderausgaben sind weiterhin die Einzelausgaben lieferbar: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit 13Q.-137. Tausend. 63 Seilen. Mit 2 Tafeln. Englisch broschiert DM 3.50, gebunden DM4.50 Zwischen Wasser und Urwald Erlebnisse und Beobachtungen eines Arztes im Urwald Äquatorialafrikas. 203.-213. Tausend. VIII, 149 Seiten. Mit 16 Abbildungen und einer Karte. Gebunden DM 7.- Briefe aus Lambarene 1924-1927. IV, 195 Seiten. Mit 14 Abbildungen. Gebunden DM 7.- Verfall und Wiederaufbau der Kultur (Kulturphilosophie Bd. I) SO. Tausend. X, 63 Seiten. Ganzleinen DM 6.- Kultur und Ethik (Kulturphilosophie Band II) 49. Tausend. XXVI, 269 Seiten. Ganzleinen DM 14.- 40 RELIGION UND PHILOSOPHIE ALBERT SCHWEITZER Friede oder Atomkrieg 20. Tausend. 47 Seiten. Kartoniert UM 2.50 ALBERT SCHWEITZER Das Problem des Friedens in der heutigen "Welt Rede bei der Entgegennahme des Nobel-Friedenspreises in Oslo am 4. November 1954 22. Tausend. 20 Seiten. Englisch broschiert DM 2.50 ALBERT SCHWEITZER Das Christentum und die "Weltreligionen 40. Tausend. 57 Seiten. Englisch broschiert DM 3.20 ALBERT SCHWEITZER Goethe Vier Reden. SO. Tausend der Gesamtauflage. 1 0i Seiten. Englisch broschiert DM4.20 Vom Sinn des Lebens Ein Gespräch zu fünft. Aus Werk und Eeben Albert Schweitzers gestaltet von Peter Latar. 35. Tausend der Gesamtauflage. 66 Seiten. Englisch broschiert DM 2.80 MARIE WOYTT-SECRETAN Albert Schweitzer, der Urwalddoktor von Lambarene 24.-27. Tausend der deutschen Ausgabe. 183 Seiten. Mit 28 Abbildungen auf 15 Tafeln. Ganzleinen DM 8.— CHARLES R. JOY - MELVIN ARNOLD Bei Albert Schweitzer in Afrika Ein Text- und Bildbericht. 159 Seiten. Mit 148 Abbildungen. Ganzleinen DM11.80- GUY BARTH ELEMY Wie ich Lambarene erlebte Ein junger Mensch besucht Albert Schweitzer. Ans dem Französischen übertragen von Marie Woytt-Secretan. O.-ll. Tausend, 100 Seiten. Mit 2 Abbildungen. Englisch broschiert DM 3.20 JAHRE DER ENTSCHEIDUNG ERSTER TEIL DEUTSCHLAND UND DIE WELTGESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG VON OSWALD SPENGLER i Ol. BIS 125. TA US END C. H. BECK' SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG MÜNCHEN 1933 Copyright 1933 by C. H. Beck'sche Verlag-buchhandlung < Oskar Beck> München Im Zwange der Welt Weben die Nomen Sie können nichts wenden noch wandeln Richeu'd Wagner, Siegfried EINLEITUNG Niemand konnte die nationale Umwälzung dieses Jahres beisehnen als ich. Ich habe die schmutzige Revolution von 1918 vom ersten Tage an gehaßt, als den Verrat des minderwertigen Teils weil er eine Zukunft haben konnte und haben wollte. Alles, was ich seitdem über Politik schrieb, war gegen die Mächte gerichtet, die sich auf dem Berg unseres Elends und Unglücks mit Hilfe unserer Feinde verschanzt hatten, um diese Zukunft unmög- lich zu machen. Jede Zeile sollte zu ihrem Sturz beitragen und ich hoffe, daß das der Fall gewesen ist. Irgend etwas mußte kommen, in irgendeiner Gestalt, um die tiefsten Instinkte unseres Blutes von diesem Druck zu befreien, wenn wir bei den kommenden Entschei- dungen des Weltgeschehens mitzureden, mitzuhandeln haben und nicht nur ihr Opfer sein sollten. Das große Spiel der Weltpolitik ist nicht zu Ende. Die höchsten Einsätze werden erst gemacht. Es geht für jedes der lebenden Völker um Größe oder Vernichtung. Aber die Ereignisse dieses Jahres geben uns die Hoffnung, daß diese Frage für uns noch nicht entschieden ist, daß wir — wie in Zeit Bismarcks — irgendwann wieder Subjekt und nicht nur der Geschichte sein werden. Es sind gewaltige Jahrzehnte, in denen wir leben, gewaltig — das heißt furchtbar und glücklos. Größe und Glück sind zweierlei, und die Wahl steht uns nicht offen. aber es ist vielen möglich, die Bahn ihrer Jahre nach persönlichem Willen in Größe oder in Kleinheit zu durchschreiten. Indessen, wer nur Behagen will, verdient es nicht, da zu sein. Der Handelnde sieht oft nicht weit. Er wird getrieben, ohne das wirkliche Ziel zu kennen. Er würde vielleicht Widerstand leisten, wenn er es sähe, denn die Logik des Schicksals hat nie von mensch- lichen Wünschen Kenntnis genommen. Aber viel häufiger ist es, daß er in die Irre geht, weil er ein falsches Bild der Dinge um sich und in sich entwickelt hat. Es ist die große Aufgabe des Geschichts- ken ners, die Tatsachen seiner Zeit zu verstehen und von ihnen aus die Zukunft zu ahnen, zu deuten, zu zeichnen, die kommen wird, ob VIII EINLEITUNG warnende, leitende Kritik ist eine Epoche von solcher Bewußtheit wie die heutige nicht möglich. Ich werde nicht schelten oder schmeicheln. Ich enthalt« mich jedes Werturteils über die Dinge, die erst zu entstehen begonnen haben. Wirklich werten läßt sich ein Ereignis erst, wenn ^ es ferne ^Ver- Tatsachen geworden sind, also nach Jahrzehnten. Ein reifes Ver- ständnis Napoleons war nicht vor dem Ende des vorigen Jahrhun- derts möglich. Über Bismarck können selbst wir noch keine ab- schließende Meinung haben. Nur Tatsachen stehen fest, Urteile schwanken und wechseln. Und schließlich: Ein großes Ereignis be- darf des wertenden Urteils der Mitlebenden nicht. Die Geschichte Aber das darf heute schon gesagt werden: Der nationale Umsturz von 1933 war etwas Gewaltiges und wird es in den Augen der Zu- kunft bleiben, durch die elementare, überpersönliche Wucht, mit der er sich vollzog, und durch die seelische Disziplin, mit der er vollzogen wurde. Das war preußisch durch und durch, wie der Aufbruch von 191 4, der in einem Augenblick die Seelen ver- wandelte. Die deutschen Träumer erhoben sich, ruhig, mit impo> nierender Selbstverständlichkeit, und öffneten der Zukunft einen,; Weg. Aber eben deshalb müssen sich die Mithandelnden darüber klar sein: Das war kein Sieg, denn die Gegner fehlten. Vor der Ge- oder getan war. Es war ein Versprechen künftiger Siege, die in schweren Kämpfen erstritten werden müssen und für die hier erst antwortung dafür auf sich genommen und sie müssen wissen oder lernen, was das bedeutet. Es ist eine Aufgabe voll ungeheurer Ge- fahren, und sie liegt nicht im Inneren Deutschlands, sondern draußen, in der Welt der Kriege und Katastrophen, wo nur die große Politik das Wort führt. Deutschland ist mehr als irgendein Land in das Schicksal aller andern verflochten; es kann weniger als irgendein anderes regiert werden, als ob es etwas für sich wäre. Und außerdem : Es ist nicht die erste nationale Revolution, die sich hier ereignet hat — Cromweü und Mirabeau sind vorangegangen — , aber es ist die erste, die sich in einem politisch ohnmächtigen Lande in sehr ge- EINLEITUNG IX fährlicher Lage vollzieht: das steigert die Schwierigkeit der Auf- gaben ins Ungemessene. Sie sind sämtlich erst gestellt, kaum begriffen, nicht gelöst. Es ist keine Zeit und kein Anlaß zu Rausch und Triumphgefühl. Wehe denen, welche die Mobilmachung mit dem Sieg verwechseln! Eine Bewegung hat eben erst begonnen, nicht etwa das Ziel erreicht, und die großen Fragen der Zeit haben sich dadurch in nichts geändert. Sie gehen nicht Deutschland allein an, sondern die ganze Welt, sie sind nicht Fragen dieser Jahre, sondern eines Jahrhunderts. Die Gefahr der Begeisterten ist es, die Lage zu einfach zu Begeisterung verträgt sich nicht mit Zielen, die über Generationen hinaus liegen. Mit solchen beginnen aber erst die wirklichen Ent- Diese Machtergreifung hat sich in einem Wirbel von Stärke und Schwäche vollzogen. Ich sehe mit Bedenken, daß sie täglich mit so viel Lärm gefeiert wird. Es wäre richtiger, wir sparten das für einen Tag wirklicher und endgültiger Erfolge auf, das heißt außen- politischer. Es gibt keine andern. Wenn sie einmal errungen sind, werden die Männer des Augenblicks, die den ersten Schritt taten, viel- vergessen und geschmäht, bis irgend- sich ihrer Bedeutung erinnert. Die Geschichte ist nicht sentimental, und wehe dem, der sich selbst sentimental nimmt ! In jeder Entwicklung mit solchem Anfang liegen viele Möglich- keiten, deren sich die Teilnehmer selten ganz bewußt sind. Sie kann in Prinzipien und Theorien erstarren, in politischer, sozialer, wirt- schaftlicher Anarchie untergehen, ergebnislos zum Anfang zurück- kehren, so wie man im Paris von 1793 deutlich fühlte, que ca mhangerait. Dem Rausch der ersten Tage, der oft schon kommende Möglichkeiten verdarb, folgt in der Regel eine Ernüchterung und die Unsicherheit über den „nächsten Schritt". Es gelangen Ele- mente zur Macht, welche den Genuß der Macht als Ergebnis be- trachten und den Zustand verewigen möchten, der nur für Augen- blicke tragbar ist. Richtige Gedanken werden von Fanatikern bis zur Selbstaufhebung übersteigert. Was als Anfang Großes versprach, endet in Tragödie oder Komödie. Wir wollen diese Gefahren bei- zeiten und nüchtern ins Auge fassen, um klüger zu sein als manche Generation der Vergangenheit. Wenn aber hier das dauerhafte Fundament einer großen Zukunft gelegt werden soll, auf dem kommende Geschlechter bauen kön- nen, so ist das nicht ohne Fortwirken alter Traditionen möglich. Was wir von unsern Vätern her im Blute haben, Ideen ohne Worte, ist allein das, was der Zukunft Beständigkeit verspricht. Was ich vor Jahren als „Preußentum" gezeichnet hatte, ist wichtig — es hat sich gerade eben bewährt — , nicht irgendeine Art von „Sozia- lismus". Wir brauchen eine Erziehung zu preußischer Haltung, wie sie 1870 und 1914 da war und wie sie im Grunde unserer Seelen als beständige Möglichkeit schläft. Nur durch lebendiges Vor- bild und sittliche Selbstdisziplin eines befehlenden Standes ist das erreichbar, nicht durch viel Worte oder durch Zwang. Sich selbst beherrschen muß man, um einer Idee dienen zu können, zu inner- lichen Opfern aus Überzeugung bereit sein. Wer das mit dem geistigen Druck eines Programms verwechselt, der weiß nicht, wovon hier die Rede ist. Damit komme ich auf da mit dem ich 191 9 den Hinweis auf diese sittliche INotwenc begonnen habe, ohne die sich nichts von Dauer errichten läßt: „Preußentum und Sozialismus". Alle anderen WeltYÖlker haben einen Charakter durch ihre Vergangenheit erhalten. Wir hatten keine erziehende Vergangenheit und wir müssen deshalb den Cha- rakter, der als Keim in unserem Blute liegt, erst wecken, entfalten, erziehen. Ziel soll auch dieses Werk gewidmet sein, dessen ersten ich hier vorlege. Ich tue, was ich immer getan habe: Ich gebe Wunschbild der Zukunft und noch weniger ein Programm zu en Verwirklichung, wie es unter Deutschen Mode ist, sondern ein klares Bild der Tatsachen, wie sie sind und sein werden. Ich sehe weiter als andere. Ich sehe nicht nur große Möglichkeiten, son- dern auch große Gefahren, ihren Ursprung und vielleicht den Weg, ihnen zu entgehen. Und wenn niemand den Mut hat zu sehen und zu sagen, was er sieht, will ich es tun. Ich habe ein Recht zur Kritik, weil ich immer wieder durch sie das gezeigt habe, was ge- schehen muß, weil es geschehen wird. Eine entscheidende Reihe von Taten ist begonnen worden. Nichts, was einmal Tatsache ist, läßt sich zurücknehmen. Jetzt müssen wir alle in dieser Richtung fortschreiten, ob wir sie gewollt haben oder nicht. Es wäre kurz- EINLEITUNG XI Aber das Ja setzt ein Verstehen voraus. Dem soll dies Buch dienen. Es ist eine Warnung vor Gefahren. Gefahren gibt es immer. Jeder Handelnde ist in Gefahr. Gefahr ist das Leben selbst. Aber wer das Schicksal von Staaten und Nationen an sein privates Schicksal ge- knüpft hat, muß den Gefahren sehend begegnen. Und zum Sehen gehört vielleicht der größere Mut. Dies Buch ist aus einem Vortrag „Deutschland in Gefahr" entstan- den, den ich 1929 in Hamburg gehalten habe, ohne auf viel Ver- ständnis gestoßen zu sein. Im November 1932 ging ich an die Aus- arbeitung, immer noch der gleichen Lage in Deutschland gegen- über. Am 3o. Januar 1933 war es bis zur Seite 106 gedruckt. Ich habe nichts daran geändert, denn ich schreibe nicht für Monate oder das nächste Jahr, sondern für die Zukunft. Was richtig ist, kann durch ein Ereignis nicht aufgehoben werden. Nur den Titel habe ich anders gewählt, um nicht Mißverständnisse zu erzeugen: Nicht die nationale Machtergreifung ist eine Gefahr, sondern die Gefahren waren da, zum Teil seit 191 8, zum Teil sehr viel länger, und sie bestehen fort, weil sie nicht durch ein Einzelereignis be- seitigt werden können, daäerst einer jahrelangen und richtigen Fort- entwicklung bedarf, um ihnen gegenüber wirksam zu sein. Deutsch- land ist in Gefahr. Meine Angst um Deutschland ist nicht kleiner geworden. Der Sieg vom März war zu leicht, um den Siegern über den Umfang der Gefahr, ihren Ursprung und ihre Dauer die Augen zu öffnen. Niemand kann wissen, zu was für Formen, Lagen und Persönlich- keiten diese Umwälzung führt und was für Gegenwirkungen sie von außen zur Folge hat. Jede Revolution verschlechtert die außen- politische Lage eines Landes, und allein um dem gewachsen zu sein, sind Staatsmänner vom Range Bismarcks nötig. Wir stehen vielleicht schon dicht vor dem zweiten Weltkrieg mit unbekannter Verteilung der Mächte und nicht vorauszusehenden — militärischen, wirtschaftlichen, revolutionären — Mitteln und Zielen. Wir haben keine Zeit, uns auf innerpoiitische Angelegenheiten zu beschränken. Wir müssen für jedes denkbare Ereignis „in Form" sein. Deutsch- land ist keine Insel. Wenn wir nicht unser Verhältnis zur Welt als XII EINLEITUNG das wichtigste Problem gerade für uns sehen, geht das Schicksal — und was für ein Schicksal ! — erbarmungslos über uns hinweg. Deutschland ist das entscheidende Land der Welt, nicht nur seiner Lage wegen, an der Grenze von Asien, weltpolitisch heute dem wich- tigsten Erdteil, sondern auch weil die Deutschen noch jung genug sind, um die weltgeschichtlichen Probleme in sich zu erleben, zu gestalten, zu entscheiden, während andere Völker zu alt und starr geworden sind, um mehr als eine Abwehr aufzubringen. Aber auch großen Problemen gegenüber enthält der Angriff das größere Ver- sprechen des Sieges. Das habe ich beschrieben. Wird es die gehoffte Wirkung tun? München, im Juli 1 933 Oswald Spengler Deutschland ist keine Insel I. Angst vor der Wirklichkeit 3. Rationalismus und Ro- mantik 5. Der tauschende Friede 1871/191$ 10. Größe der Zeit 11. ...................... Zeitalter der Weltkriege 16. Zwischen vergangenen und künftigen Machtformen, Met- ternich 19. Der erste Weltkrieg seit 1878 drohend 20. 19 18 nichts entschieden 22. Nationalismus a5. Die Wirtschaft machtiger als die Politik: Keim der Wirtschaf tskata- strophe 28. Wandlung der Heere und strategischen Gedanken 3a. Flotten und Kolo- nien 35. Wirtschaftliche Kriegführung 3g. Neue Mächte 4 1 • Rußland wieder asiatisch 43. Japan 46. Die Vereinigten Staaten und die Revolution 47- England 5i. Frankreich 54- Die „Revolution von unten". Zeitalter der Gracchen in Rom 58. Nicht wirtschaftlich, sondern städtisch: Zerfall der Gesellschaft 62. Die Gesellschaft als Rangordnung 64- Unterschiede, nichtGegensätze 66. Unterwelt der Großstadt: „vornehm" und „gemein" 67. Ziel der Revolution: Einebnung der Gesellschaft. Demokratie == Bolschewismus 69. Einheit der Bewegung vom Liberalismus zum Bolschewismus 78. Seit i84o Mobil- machung der „Arbeiterklasse". „Diktatur des Proletariats" 79. Berufsagitation 80. Der Bolschewismus nicht russisch 82. Duldung durch die liberale Gesellschaft 84« Kultus des „Arbeiters" 87. Typus des Demagogen 88. Kirche und Klassenkampf, Kommunismus und Religion 89. Wirtschaftlicher Egoismus als Moral des Klassenkampfes g4- Zeitalter der revolutionären Theorie 1760/1 85o. Die Nationalökonomie seit 1770 gehört dam 97. Negatives Ideal des Klassenkampfes: Zerstörung der Rangordnung seit 1770, der Wirt- schaftsordnung seit i84o 99. „Kapitalismus" und , Sozialismus als Kapitalismus von unten 102. durch Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung iofc Werttheorie als Waffe durch die Praxis der politischen Löhne 110. Umfang und Wir- kung des politischen Lohnes 112. Sieg der niederen Massenarbeit über die Führer- arbeit 11 4- Bauerntum und städtische Luxuslöhne 116. Das krankhafte Tempo der Wirtschaftsentwicklung eine Folge des Lohndruckes 117. Ausdehnung des Finanzkapitals eine zweite Folge 119. Ende des Industriemonopols der weißen Arbeiterschaft 120. Die farbigen Löhne treten in den Kampf ein 121. XIV INHALTSVERZEICHNIS Um 1900 die weiße Wirtschaft schon untergraben 122. Der Zusammenbruch vom Weltkrieg nicht bewirkt, sondern nur nicht länger aufgehalten ia3. Seit 19 16 Diktatur der Arbeiterparteien über Staat und Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit 124. Ausraubung der Gesellschaft ia5- Mangel an Einsicht. Inflation, Autarkie, Arbeitsbeschaffung 128. Der Klassenkampf noch nicht zu Ende 12g. Zwei Fronten i3o. Was ist „links"? i3a. Sinn des Faschismus x34- „Preußentum und Sozialismus" i36. Ausgang der „Revo- lution von unten". Cäsarismus i4i. Individualismus als nordische Lebensform 1 43. Die farbige Weltrevolution i47 Tatsache der zwei Revolutionen : Klassenkampf und Rassenkampf 147. Die „Revolution von außen" gegen das römische Imperium i48- Lage der weißen Volker. Versailles ein Sieg der farbigen Welt i5o. Das aktive Asien: Rußland und Japan i5i. Indianer i54- Neger x56. Indien und China i56. Müdigkeit der weißen Völker: Unfruchtbarkeit 157. Pazifismus, panem et circenses 161. Gefahr der Verständigung zwischen den Farbigen und dem weißen Proletariat i64. Eintritt in die entscheidenden Jahrzehnte i65. DER POLITISCHE HORIZONT Hat heute irgend ein Mensch der weißen Rassen einen was rings umher auf dem Erdball vor sich geht? Für die Größe der Gefahr, die über dieser Völkermasse liegt und droht? Ich rede nicht von der gebildeten oder ungebildeten Menge unserer Städte, den Wählern und Gewählten längst kein Unterschied des Ranges mehr besteht — , sondern von den führenden Schichten der weißen Na- tionen, soweit sie nicht schon vernichtet sind, von den Staats- männern, sofern es welche gibt, von den echten Führern der Politik und der Wirtschaf t, der Heere und des Denkens. Sieht irgend jemand über diese Jahre und über seinen Erdteil, sein Land, selbst über den engen Kreis seiner Tätigkeit hinaus? Wir leben in einer verhängnisschweren Zeit. Die großartigste Ge- schichtsepoche nicht nur der faustischen Kultur Westeuropas mit ihrer ungeheuren Dynamik, sondern eben um dieser willen der ge- als die Zeiten Casars und Napoleons. Aber wie blind sind die sehen, über die dieses gewaltige Schicksal hinwegbraust, sie durchein- anderwirbelnd, erhebend oder vernichtend. Wer von ihnen sieht und begreift, was mit ihnen und um sie her geschieht? Vielleicht ein alter weiser Chinese oder Inder, der schweigend, mit einer tausendjähri- gen Vergangenheit des Denkens im Geiste um sich blickt — aber wie flach, wie eng, wie klein gedacht ist alles, was an l Maßnahmen in Westeuropa und Amerika hervortritt! Wer von den Bewohnern des mittleren Westens der Vereinigten Staaten wirklich etwas von dem, Was jenseits von Newyork und San Fran- zisko vor sich geht? Was ahnt ein Mann der englischen Mittelklasse von dem, was auf dem Festland drüben sich vorbereitet, um von der französischen Provinz zu schweigen? Was wissen sie alle von der Richtung, in welcher ihr eigenes Schicksal sich bewegt? Da entstehen 2 DER POLITI SCHE HORIZONT Strophen im Umfang von Generationen durch prosperity und Ab- rüstung zu „überwinden". Aber ich rede hier von Deutschland, das im Sturm der Tatsachen tiefer bedroht ist als irgend ein anderes Land, dessen Existenz im erschreckenden Sinne des Wortes in Frage steht. Welche Kurzsichtig- keit und geräuschvolle Flachheit herrschen hier, was für provinziale Standpunkte tauchen auf, wenn von den größten Problemen die Rede ist! Man gründe innerhalb unserer Grenzpfähle das Dritte Reich oder den Sowjetstaat, schaffe das Heer ab oder das Eigentum, die Wirtschaftsführer oder die Landwirtschaft, man gebe den einzelnen Länderchen möglichst viel Selbständigkeit oder beseitige sie, man lasse die alten Herren von der Industrie oder Verwaltung wieder im Stile von 1900 arbeiten oder endlich, man mache eine Revolution, proklamiere die Diktatur, zu der sich dann ein Diktator schon finden wird — vier Dutzend Leute fühlen sich dem schon längst gewachsen — und alles ist schön und gut. Aber Deutschland ist keine Insel. Kein zweites Land ist in dem Grade handelnd oder leidend in das Weltschicksal verflochten. Seine geographische Lage aliein, sein Mangel an natürlichen Grenzen ver- urteilen es dazu. Im 18. und ig. Jahrhundert war es „Mitteleuropa", im 20. ist es wieder wie seit dem 1 3. Jahrhundert ein Grenzland gegen „Asien", und niemand hat es nötiger, politisch und wirtschaft- lich weit über die Grenzen hinaus zu denken, als die Deutschen. Alles was in der Ferne geschieht, zieht seine Kreise bis ins Innere Deutschlands. Aber unsere Vergangenheit rächt sich, diese 700 Jahre jammervoller provinzialer Kleinstaaterei ohne einen Hauch von Größe, ohne Ideen, ohne Ziel. Das läßt sich nicht in zwei Generationen einholen. Und die Schöpfung Bismarcks hatte den großen Fehler, das heranwach- sende Geschlecht nicht für die Tatsachen der neuen Form unseres politischen Lebens erzogen zu haben. 1 Man sah sie, aber begriff sie l, CigHUlX; Olli ölAvll U1UC1 ÜUll Ulli üilOil UVI liUH ICJI, und neuen Pflichten nicht an. Man lebte nicht mit ihnen. Und der Durchschnittsdeutsche sah nach wie vor die Geschicke seines großen Landes parteimäßig und partikularistisch an, das heißt flach, eng, deine Denken begann, seit die Stau- DER POLITISCHE HORIZONT 3 fenkaiser mit ihrem Blick über das Mittelmeer hin und die Hansa, die einst von der Sc Mangels an einer realpolitischen Stützung im Hinter lande anderen, sicherer begründeten Mächten erlegen waren. Seitdem sperrte man indchen und Winkelinteressen ein, maß die lichte an deren Horizont und träumte hungernd und arm- 1 von einem Reich in den Wolken, wofür man das Wort Deutscher Idealismus erfand. Zu diesem kleinen, innerdeutschen Denken ge- hört noch fast alles, was an politischen Idealen und Utopien im Sumpfboden des Weimarer Staates aufgeschossen ist, all die inter- nationalen, kommunistischen, pazifistischen, ultramontanen, föde- ralistischen, „arischen" Wunschbilder vom Sacrum Imperium, Sowjetstaat oder Dritten Reich. Alle Parteien denken und handeln so, als wenn Deutschland allein auf der Welt wäre. Die Ge werk- schaften sehen nicht über die Industriegebiete hinaus. Kolonial- politik war ihnen von jeher verhaßt, weil sie nicht in das Schema des Klassenkampfes paßte. In ihrer doktrinären Beschränktheit be- greifen sie nicht oder wollen nicht begreifen, daß der wirtschaft- liche Imperialismus der Zeit um 1900 gerade für den Arbeiter eine Voraussetzung seiner Existenz war mit seiner Sicherung von Absatz der Produkte und Gewinnung von Rohstoffen, was der englische Arbeiter längst begriffen hatte. Die deutsche Demokratie schwärmt für Pazifismus und Abrüstung außerhalb der französischen Macht- grenzen. Die Föderalisten möchten das ohnehin kleine Land wieder Zwergstaaten ehemaligen Gepräges verwandeln fremden Mächten Gelegenheit geben, den einen gegen den andern auszuspielen. Und die Nationalsozialisten glauben ohne und gegen die Welt fertig zu werden und ihre Luftschlösser bauen zu können, ohne eine mindestens schweigende aber sehr fii Gegenwirkung von außen her. Dazu kommt die allgemeine Angst vor der Wirklichkeit. Wir „Bleichgesichter" haben sie alle, obwohl wir ihrer sehr selten, die meisten nie bewußt werden. Es ist die seelische Schwäche des späten Menschen hoher Kulturen, der in seinen Städten vom Bauerntum 4 DER POLITISCHE HORIZONT mütterlichen Erde und damit vom natürlichen Erleben von Schicksal, Zeit und Tod abgeschnitten ist. Er ist allzu wach ge- worden, an das ewige Nachdenken über das Gestern und Morgen ge- wöhnt und erträgt das nicht, was er sieht und sehen muß: den unerbittlichen Gang der Dinge, den sinnlosen Zufall, die wirk- liche Geschichte mit ihrem mitleidlosen Schritt durch die Jahr- hunderte, in die der einzelne mit seinem winzigen Privatleben an bestimmter Stelle unwiderruflich hineingeboren ist. Das ist es, was er vergessen, widerlegen, abstreiten möchte. Er flieht aus der Ge- schichte in die Einsamkeit, in erdachte und weltfremde Systeme, in irgend einen Glauben, in den Selbstmord. Er steckt, als ein gro- »trauß, seinen Kopf in Hof f nungen, Ideale, in feigen ius: es ist so, aber es soll nicht so sein, also ist es anders, im Walde singt, tut es aus Angst. Aus derselben Angst te die Feigheit der Städte ihren angeblichen Optimismus inaus. Sie vertragen die Wirklichkeit nicht mehr. Sie setzen ihr Wunschbild der Zukunft an die Stelle der Tatsachen — obwohl die Geschichte sich noch nie um Wünsche der Menschen gekümmert hat — vom Schlaraffenland der kleinen Kinder bis zum Weltfrieden und Arbeiterparadies der großen. So wenig man von den Ereignissen der Zukunft weiß — nur die allgemeine Form künftiger Tatsachen und deren Schritt durch die Zeiten läßt sich aus dem Vergleich mit anderen Kulturen erschließen — , so sicher ist es, daß die bewegenden Mächte der Zukunft keine anderen sind als die der Vergangenheit: der Wille de3 Stärkeren, die gesunden Instinkte, die Rasse, der Wille zu Besitz und Macht: und darüber hin schwanken wirkungslos die Träume, die immer Träume bleiben werden : Gerechtigkeit, Glück und Friede. Dazu kommt aber für unsere Kultur seit dem 1 6. Jahrhundert die wickelter und undurchsichtiger werdenden Ereignisse und Lagen der großen Politik und Wirtschaft noch zu übersehen und die in ihnen wirkenden Mächte und Tendenzen zu begreifen, geschweige denn zu beherrschen. Die echten Staatsmänner werden immer sel- tener. Das meiste, was in der Geschichte dieser Jahrhunderte ge- macht und nicht geschehen ist, ist von Halbkennern und Dilettanten DER POLITISCHE HORIZONT 5 hin auf die Völker verlassen, deren Instinkt sie gewähren ließ. Erst heute ist dieser Instinkt so schwach und die redselige Kritik aus fröhlicher Unwissenheit so stark geworden, daß die wachsende Ge- fahr besteht, ein wirklicher Staatsmann und Kenner der Dinge werde nicht etwa instinktiv gebilligt oder auch nur murrend ertragen, sondern durch den Widerstand aller Besserwisser gehindert das zu tun, was getan werden muß. Das erste konnte Friedrich der Große erfahren, das letzte wurde beinahe das Schicksal Bismarcks. Die chöpfungen solcher Führer würdigen können erst Geschlechter und nicht einmal die. Aber es kommt darauf an, daß die Gegenwart sich auf Undank und Unverständnis beschränkt und nicht zu Gegenwirkungen übergeht. Besonders die Deutschen darin, schöpferische Taten zu beargwöhnen, zu bekrit- teln, zu vereiteln. Die historische Erfahrung und die Stärke der Tradition, wie sie im englischen Leben zu Hause sind, geht ihnen ab. Das Volk der Dichter und Denker, das im Begriff ist, ein Volk der Schwätzer und Hetzer zu werden ! Jeder wirkliche Staatslenker ist unpopulär, die Folge der Angst, Feigheit und Unkenntnis der Zeitgenossen, aber selbst um das zu verstehen, muß man mehr sein als ein „Idealist' \ Wir befinden uns heute noch im Zeitalter des Rationalismus, das im 18. Jahrhundert begann und im 20. rasch zu Ende geht. 1 Wir sind alle seine Geschöpfe, ob wir es wissen und wollen oder nicht. Das Wort ist jedem geläufig, aber wer weiß, was alles dazugehört? Es ist der Hochmut des städtischen, entwurzelten, von keinem starken Instinkt mehr geleiteten Geistes, der auf das blutvolle Denken der Vergangenheit und die Weisheit alter Bauerngeschlechter mit Ver- achtung herabsieht. Es ist die Zeit, in der jeder lesen und schreiben kann und deshalb mitreden will und alles besser versteht. Dieser Geist ist von Begriffen besessen, den neuen Göttern dieser Zeit, und er übt Kritik an der Welt: sie taugt nichts, wir können das besser machen, wohlan, stellen wir ein Programm der besseren Welt auf! Nichts ist leichter als das, wenn man Geist hat. Verwirklichen wird es sich dann wohl von selbst. Wir nennen das einstweilen den ,, Fortschritt der Menschheit". Da es einen Namen hat, ist es da. Wer 1 Unt. d. Abendl. II, S. S74ff. Der „Untergang des Abendlandes" wird nach den neuen Ausgaben seit 192/j zitiert (Bd. I 65., Bd. II 43. Aufl. u. folg.). 6 DER POLITISCHE HORIZONT daran zweifelt, ist beschränkt, ein Reaktionär, ein Ketzer, vor allem ist die Angst vor der Wirklichkeit vom geistigen Hochmut überwunden worden, dem Dünkel aus Unwissenheit in allen Dingen des Lebens, aus seelischer Armut, aus Mangel an Ehrfurcht, zu- letzt aus weltfremder Dummheit, denn nichts ist dümmer als die wurzellose städtische Intelligenz. In englischen Kontoren und Klubs nannte man sie common sense, in französischen Salons esprit, in mus des Bildungsphilisters beginnt die elementaren Tatsachen der Geschichte nicht mehr zu fürchten, sondern zu verachten. Jeder sie begrifflich vollkommener machen als sie wirklich sind, sie sich im Geiste Untertan wissen, weil er sie nicht mehr erlebt, sondern nur noch erkennt. Dieser doktrinäre Hang zur Theorie aus Mangel an Erfahrung, besser aus mangelnder Begabung Erfahrungen zu machen, äußert sich literarisch im unermüdlichen Entwerfen von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen und Utopien, praktisch in der Wut des Organisierens, die zum abstrakten Selbstzweck wird und Bürokratien zur Folge hat, die an ihrem eigenen Leerlauf zugrunde gehen oder lebendige Ordnungen zu- grunde richten. Der Rationalismus ist im Grunde nichts als Kritik, und der Kritiker ist das Gegenteil des Schöpfers : er zerlegt und fügt zusammen; Empfängnis und Geburt sind ihm fremd. Deshalb ist sein Werk künstlich und leblos und tötet, wenn es mit wirklichem auf dem Papier entstanden, methodisch und absurd, und leben nur auf dem Papier. Das beginnt zur Zeit Rousseaus und Kants mit geht im 19. Jahrhundert zu wissenschaftlichen Konstruktionen über mit naturwissenschaftlicher, physikalischer, darwinistischer Me- thode — Soziologie, Nationalökonomie, materialistische Geschichts- schreibung — und verliert sich im 20. im Literatentum der Ten- denzromane und Parteiprogramme. Aber man täusche sich nicht : Idealismus und Materialismus gehören DER POLITISCHE HORIZONT 7 Proudhon, die Ideologen der Befreiungskriege ebenso wie Marx, die materialistische Auffassung der Geschichte in demselben Grade wie die idealistische: Ob man als deren „Sinn" und ..Zweck" den Fort- schritt, die Technik, die „Freiheit", das „Glück der meisten" an- sieht, oder die Blüte von Kunst, Dichtung und Denken, das macht wenig aus. In beiden Fallen hat man nicht bemerkt, daß das Schick- sal in der Geschichte von ganz anderen, robusteren Mächten ab- hängt. Menschengeschichte ist Kriegsgeschichte. Von den wenigen den Staatsmännern half. Aber ebenso wie Idealismus und Materialismus ist die Romantik ein Ausdruck rationalistischer Überhebung aus Mangel an Sinn für die Wirklichkeit. Sie sind im tiefsten Grunde verwandt und es wird schwer sein, bei irgend einem politischen oder sozialen Romantiker die Grenze zwischen diesen Richtungen des Denkens zu finden. In jedem bedeutenden Materialisten steckt ein heimlicher Romantiker. 1 Gewiß, man verachtet den kalten, flachen, methodischen Geist der andern, aber man besitzt selbst genug davon, um es mit den gleichen Mitteln, dem gleichen Dünkel zu tun. Romantik ist kein Zeichen starker Instinkte, sondern schwachen, sich selbst hassenden In- tellekts. Sie sind alle infantil, diese Romantiker, Männer, die zu lange oder immer Kinder geblieben sind, ohne die Kraft zur Selbst- kritik, aber mit ewigen Hemmungen aus dem dumpfen Bewußtsein persönlicher Schwäche und von dem kranken Gedanken getrieben, die Gesellschaft abzuändern, die ihnen zu männlich, zu gesund, zu nüchtern ist, nicht mit Messer und Revolver wie in Rußland, beileibe nicht, sondern mit edlem Gerede und poetischen Theorien. Wehe ihnen, wenn sie nicht künstlerische Begabung genug besitzen, um sich die fehlende Gestaltungskraft wenigstens einzureden. Aber auch da sind sie weibisch und schwächlich: sie können keinen gro- ßen Roman, keine strenge Tragödie auf die Beine stellen, noch weniger eine geschlossene starke Philosophie: nur innerlich form- lose Lyrik, blutleere Schemata und fragmentarische Gedanken kom- zum Vorschein, weltfremd und weltfeindlich bis zur Absurdität. 1 Die Welträlsel Haeckels z. B. sind das Buch eines reinen Schwärmers und schwachen DER POLITISCHE HORIZONT Aber so waren auch die ewigen „Jünglinge" nach i8i5 mit ihren Stein konnte seinen romantischen Staatsordnungen nicht so weit bändigen, um von seiner großen praktischen Erfahrung den diplomatisch erfolgreichen Gebrauch zu machen. Gewiß, sie waren heldenhaft, edel und jeden Augenblick bereit Märtyrer zu sein, aber sie sprachen zu viel von deutschem Wesen und zu wenig von Eisenbahnen und Zollverein, und deshalb sind sie für die wirkliche Zukunft Deutschlands nur ein Hinder- nis gewesen. Haben sie je den Namen des großen Friedrich List gehört, der i846 Selbstmord beging, weil niemand seine voraus- schauenden realpolitischen Ziele - Nationalwirtschaft — begriff und unterstützte? Arminius und Thusnelda kannten sie alle. Und genau dieselben ewigen Jünglinge sind heute wieder da. un- aber frischweg über Politik schreibend und mitredend, von Uni- formen und Abzeichen begeistert und mit dem fanatischen Glauben an irgend eine Theorie. Es gibt eine Sozialromantik des schwärme- rischen Kommunismus, eine politische Romantik, die Wahlziffern und den Rausch von Massenreden für Taten hält, und eine Wirt- schaftsromantik, die ohne alle Kenntnis der inneren Formen realer fühlen sich nur in Masse, weil sie da das dunkle Gefühl ihrer Schwäche betäuben können, indem sie sich multiplizieren. Und das nennen sie Überwindung des Individualismus. Und sie sind, wie alle Rationalisten und Romantiker, sentimental wie ein Gassenhauer. Schon der Contrat social und die Menschen- rechte stammen aus dem Zeitalter der Empfindsamkeit. Burke be- tonte als echter Staatsmann demgegenüber mit Recht, daß sie da drüben ihre Rechte nicht als Menschen, sondern als Engländer for- derten. Das war praktisch und politisch gedacht, nicht rationalistisch die über allen theoretischen Strömungen dieser zwei Jahrhunderte liegt, dem Liberalismus, Kommunismus, Pazifismus, über allen evolutionen, stammt aus seelischer Unbe- DER POLITISCHE HORIZONT y eine strenge alte Tradition. Sie ist „bürgerlich" oder „plebejisch", soweit das Schimpfworte sind. Sie sieht die menschlichen Dinge, die Geschichte, das politische und wirtschaftliche Schicksal von unten, klein und kleinlich, aus dem Kelierfenster, von der Gasse, dem Literatencafe, der Volksversammlung her, nicht aus der Höhe und Ferne. Jede Art von Größe, alles was aufragt, herrscht, über- legen ist, ist ihr verhaßt, und Aufbau bedeutet ihr in Wirklichkeit den Abbau aller Schöpfungen der Kultur, des Staates, der Gesell- schaft bis zum Niveau der kleinen Leute, über das ihr armseliges Gefühl nicht begreifend hinausragt. Das allein ist heute volkstüm- lich und volksfreundlich, denn „Volk" bedeutet im Munde jedes Rationalisten und Romantikers nicht die formvolle, vom Schick- sal im Laufe langer Zeiten gestaltete, geschichtete Nation, sondern den Teil der flachen formlosen Masse, den jeder gerade als seines- gleichen empfindet, vom „Proletariat" bis zur „Menschheit". Diese Herrschaft des städtischen wurzellosen Geistes geht heute zu Ende. Als letzte Art des Verstehens der Dinge wie sie sind, erscheint die Skepsis, der gründliche Zweifel an Sinn und Wert des theo- retischen Nachdenkens, an dessen Fähigkeit kritisch und begriff- lich irgend etwas zu erschließen und praktisch irgend etwas zu leisten: die Skepsis in Form der großen historischen und physio- gnomischen Erfahrung, des unbestechlichen Blickes für Tatsachen, der wirklichen Menschenkenntnis, die lehrt, wie der Mensch war und ist und nicht wie er sein sollte, des echten Geschichtsdenkens, das unter anderem lehrt, wie oft solche Zeitalter der allmächtigen Kritik schon da waren und wie erfolglos sie vergangen sind; die Ehrfurcht vor den Tatsachen des Weltgeschehens, die innerlich Geheimnisse sind und bleiben, die wir nur beschreiben und nicht er- klären können und die praktisch nur durch Menschen von starker Rasse, die selbst historische Tatsachen sind, gemeistert wer- den können und nicht durch sentimentale Programme und Systeme. Dieses harte historische Wissen um die Tatsachen, wie es in diesem Jahrhundert beginnt, ist den weichen, unbeherrschten Naturen un- erträglich. Sie hassen den, der sie feststellt, und nennen ihn einen Pessimisten. Nun gut, aber dieser starke Pessimismus, zu dem die Menschenverachtung aller großen Tatmenschen gehört, die Men- 10 DER POLITISCHE HORIZONT müden Seelen, welche das Leben fürchten und den Blick auf die Wirklichkeit nicht ertragen. Das erhoffte Leben in Glück, Frieden, ohne Gefahr, in breitem Behagen ist langweilig, greisenhaft und ist außerdem nur denkbar, nicht möglich. An dieser Tatsache, an Virklicl Was die augenblickliche Weltlage betrifft, so sind wir alle in Ge- fahr sie falsch zu sehen. Seit dem amerikanischen Bürgerkrieg (i865), dem deutsch-französischen Krieg (1870) und der vikto- rianischen Zeit hat sich bis 191 4 ein so unwahrscheinlicher Zustand von Ruhe, Sicherheit, friedlichem und sorglos fortschreitendem Da- sein über die weißen Völker verbreitet, daß man in allen Jahr- nach etwas ähnlichem sucht. Wer das erlebt ren davon hört, erliegt immer wieder der Nei- gung, es für normal zu halten, die wüste Gegenwart als Störung dieses natürlichen Zustandes aufzufassen und zu wünschen, daß es Fall sein. Dergleichen wird nie wiederkommen. Man kennt die Gründe nicht, die diesen auf die Länge unmöglichen Zustand her- beigeführt haben : die Tatsache, daß die stehenden und immer wach- senden Heere einen Krieg so unberechenbar machten, daß kein Staatsmann mehr einen zu führen wagte; die Tatsache, daß die tech- nische Wirtschaft sich in einer fieberhaften Bewegung befand, die ein rasches Ende nehmen mußte, weil sie sich auf rasch hinschwin- dende Bedingungen stützte; und endlich die Tatsache, daß durch beides die schweren ungelösten Probleme der Zeit immer weiter und Enkeln zugeschoben wurden, als kommender Geschlechter, bis man nicht mehr an ihr handensein glaubte, obwohl sie in ständig wachsender Spannung aus der Zukunft herüberdrohten. Einen langen Krieg ertragen wenige, ohne seelisch zu verderben; einen langen Frieden erträgt niemand. Diese Friedenszeit von 1870 bis 191 4 und die Erinnerung an sie hat alle weißen Menschen satt ? DER POLITISCHE HORIZONT 11 rungen, mit denen heute jeder Demagoge auftritt, Forderungen sagung auch nur zu erinnern. Dieser allzulange Friede über dem vor wachsender Erregung zittern- den Boden ist eine furchtbare Erbschaft. Kein Staatsmann, keine Partei, kaum ein politischer Denker steht heute sicher genug, um die Wahrheit zu sagen. Sie lügen alle, sie stimmen alle in den Chorus der verwöhnten und unwissenden Menge ein, die es morgen so und noch besser haben will wie einst, obwohl die Staatsmänner und Wirtschaftsführer die furchtbare Wirklichkeit besser kennen soll- ten. Aber was für Führer haben wir heute in der Welt! Dieser feige und unehrliche Optimismus kündet jeden Monat einmal die „wiederkehrende" Konjunktur und prosperity an, sobald ein paar Haussespekulanten die Kurse flüchtig steigen lassen ; das Ende der Arbeitslosigkeit, sobald irgendwo 100 Mann eine und vor allem die erreichte „Verständigung" der Völ Völkerbund, dieser Schwärm von Sommerfrischlern, die am Genfer See schmarotzen, irgend einen Entschluß faßt. Und in allen Ver- sammlungen und Zeitungen hallt das Wort Krise wider als der Ausdruck für eine vorübergehende Störung des Behagens, mit dem man sich über die Tatsache belügt, daß es sich um eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen handelt, die normale Form, in der sich die großen Wendungen der Geschichte vollziehen. Denn wir leben in einer gewaltigen Zeit. Es ist die größte, welche die Kultur des Abendlandes je erlebt hat und erleben wird, dieselbe, welche die Antike von Cannä bis Aktium erlebt hat, dieselbe, aus der die Namen Hannibal, Scipio, Gracchus, Marius, Sulla, Cäsar herüberleuchten. 1 Der Weltkrieg war für uns nur der erste Blitz und Donner aus der Gewitterwolke, die schicksalsschwer über dieses Jahrhundert dahinzieht. Die Form der Welt wird heute aus dem Grunde umgeschaffen wie damals durch das beginnende Imperium Romanum, ohne daß das Wollen und Wünschen „der meisten" be- achtet und ohne daß die Opfer gezählt werden, die jede solche Ent- scheidung fordert. Aber wer versteht das? Wer erträgt das? Wer empfindet es als Glück, dabei zu sein? Die Zeit ist gewaltig, aber i Unt. d. Abendl. II, S.5i8ff. 12 DER POLITISCHE HORIZONT um so kleiner sind die Menschen. Sie ertragen keine Tragödie mehr, end flacher Unterhaltungsromane, kümmerlich und sind. Aber das Schicksal, das sie in diese Jahrzehnte hineingeworfen hat, packt sie beim Kragen und tut mit ihnen, was getan werden muß, ob sie nun wollen oder nicht. Die feige Sicherheit vom Aus- gang des vorigen Jahrhunderts ist zu Ende. Das Leben in Ge- fahr, das eigentliche Leben der Geschichte, tritt wieder in sein der den Mut hat, die Dinge zu sehen und zu nehmen, wie sie sind. Die Zeit kommt — nein, sie ist schon da! — die keinen Raum mehr hat für zarte Seelen und schwächliche Ideale. Das uralte Barbarentum, das Jahrhunderte lang unter der Formen- strenge einer hohen Kultur verborgen und gefesselt lag, wacht wieder auf, jetzt wo die Kultur vollendet ist und die Zivilisation begonnen hat, jene kriegerische gesunde Freude an der eigenen Kraft, welche das mit Literatur gesättigte Zeitalter des rationali- stischen Denkens verachtet, jener ungebrochene Instinkt der Rasse, der anders leben will als unter dem Druck der gelesenen Bücher- masse und Bücherideale. Im westeuropäischen Volkstum lebt noch genug davon, auch in den amerikanischen Prärien und darüber hinaus in der großen nordasiatischen Ebene, wo die Welteroberer Ist das „Pessimismus"? Wer es so empfindet, hat also die fromme Lüge oder den Schleier der Ideale und Utopien not ig, um vor dem Anblick der Wirklichkeit geschützt, von ihm erlöst zu sein? Es ist möglich, daß das die Mehrzahl der weißen Menschen tut, sicherlich in diesem Jahrhundert, ob aber auch in den folgenden? Ihre Vor- fahren in der Zeit der Völkerwanderung und der Kreuzzüge waren dem Leben sind in der indischen Kultur auf gleicher Zeitstufe der Buddhismus und die verwandten Richtungen entstanden, die unter uns beginnen Mode zu werden. Es ist wohl möglich, daß hier eine Spätreligion des Abendlandes in Bildung begriffen ist, vielleicht in christlicher Verkleidung, vielleicht nicht, wer kann das wissen? Die religiöse „Erneuerung", welche den Rationalismus als DER POLITISCHE HORIZONT 13 stehung neuer Religionen. Die müden, feigen, vergreisten Seelen wollen sich aus dieser Zeit in irgend etwas flüchten, das sie durch Wunderlichkeiten der Lehren und Bräuche besser in Vergessen- heit wiegt, als es offenbar die christlichen Kirchen vermögen. Das credo quia absurdum ist wieder obenauf. Aber die Tiefe des Welt- leidens, ein Gefühl, das so alt ist als das Grübeln über die Welt selbst, die Klage über die Absurdität der Geschichte und die Grau- samkeit des Lebens stammt nicht aus den Dingen, sondern aus dem kranken Denken über sie. Es ist das ve den Wert und die Kraft der eigenen Seele. Ein nicht notwendig mit Tränen gesättigt. Es gibt ein nordisches Weltgefühl — von England bis nach Japan hin — voll Freude gerade an der Schwere des menschlichen Schick- sals. Man fordert es heraus, um es zu besiegen. Man geht stolz zu- grunde, wenn es sich stärker erweist als der eigene Wille. So war vom Kampf zwischen den Kurus und Pandus berichten, bei Homer, Pindar und Aisehylos, in der germanischen Heidendichtung und bei Shakespeare, in manchen Liedern des chinesischen Schuking fassung des Lebens, die heute nicht ausgestorben ist, die in Zu- kunft eine neue Blüte erleben wird und sie im Weltkrieg schon er- lalb sind alle ganz großen Dichter aller nordischen ren Tragiker gewesen und die Tragödie über Ballade und Epos hinaus die tiefste Form dieses tapferen Pessimismus. Wer keine Tragödie erleben, keine ertragen kann, kann auch keine Gestalt lieh ist, nämlich tragisch, vom Schicksal durchweht, vor dem Auge der Nützlichkeitsanbeter also ohne Sinn, Ziel und Moral, der ist auch nicht imstande, Geschichte zu machen. Hier scheidet sich das überlegene und das unterlegene Ethos des menschlichen Seins. Das Leben des einzelnen ist niemand wichtig als ihm selbst: ob er es aus der Geschichte flüchten oder für sie opfern will, darauf kommt es an. Die Geschichte hat mit menschlicher Logik nichts zu tun. Ein Gewitter, ein Erdbeben, ein Lavastrom, die wahllos Leben vernich- ten, sind den planlos elementaren Ereignissen der Weltgeschichte verwandt. Und wenn auch Völker zugrunde gehen und alte Städte 14 DER POLITISCHE HORIZONT altgewordener Kulturen brennen oder in Trümmer sinken, deshalb kreist doch die Erde ruhig weiter um die Sonne und die Sterne ziehen ihre Bahn. Der Mensch ist ein Raubtier. 1 Ich werde es immer wieder sagen. All die Tugendbolde und Sozialethiker, die darüber hinaus sein Zähnen, die andere wegen der Angriffe hassen, die sie selbst weis- lich vermeiden. Seht sie doch an: sie sind zu schwach, um ein Buch n aui der ötral5e um ihre Nerven an dem Blut und wenn ein Unglüi Geschrei zu erregen, und wenn sie auch das nicht mehr wagen kön- nen, dann genießen sie es im Film und in den illustrierten Blättern. Wenn ich den Menschen ein Raubtier nenne, wen habe ich damit beleidigt, den Menschen — oder das Tier? Denn die großen Raub- tiere sind edle Geschöpfe in vollkommenster Art und ohne die Sie schreien: Nie wieder Krieg! — aber sie wollen den Klassen- kampf. Sie sind entrüstet, wenn ein Lustmörder hingerichtet wird, aber sie genießen es heimlich, wenn sie den Mord an einem poli- tischen Gegner erfahren. Was haben sie je gegen die Schlächtereien der Bolschewisten einzuwenden gehabt? Nein, der Kampf ist die Urtatsache des Lebens, ist das Leben selbst, und es gelingt auch dem jämmerlichsten Pazifisten nicht, die Lust daran in seiner Seele ganz auszurotten. Zum mindesten theoretisch möchte er alle Gegner des Pazifismus bekämpfen und vernichten. Je tiefer wir in den Cäsarismus der faustischen Welt hinein- schreiten, desto klarer wird sich entscheiden, wer ethisch zum Sub- jekt und wer zum Objekt des historischen Geschehens bestimmt ist. Der triste Zug der Weltverbesserer, der seit Rousseau durch diese Jahrhunderte trottete und als einziges Denkmal seines Da- seins Berge bedruckten Papiers auf dem Wege zurückließ, ist zu Ende. Die Cäsaren werden an ihre Stelle treten. Die große Politik als die Kunst des Möglichen fern von allen Systemen und Theo- rien, als die Meisterschaft, mit den Tatsachen als Kenner zu schalten, die Welt wie ein guter Reiter durch den Schenkeldruck zu regieren, tritt wieder in ihre ewigen Rechte, i Der DER POLITISCHE HORIZONT 15 Deshalb will ich hier nichts tun als zeigen, in welcher geschicht- lichen Lage sich Deutschland und die Welt befinden, wie diese Lage aus der Geschichte vergangener Jahrhunderte mit Notwendig- keit hervorgeht, um unausweichlich auf gewisse Formen und Lösun- gen zuzuschreiten. Das ist Schicksal. Man kann es verneinen, aber damit verneint man sich selbst. Die „Weltkrise" dieser Jahre wird, wie schon das Wort beweist, viel zu flach, zu leicht und zu einfach aufgefaßt, je nach dem Standort, den Interessen, dem Horizont des Beurteilers : als Krise der Produk- tion, der Arbeitslosigkeit, der Währung, der Kriegsschulden und Repa- rationen, der Außen- oder der Innenpolitik, vor allem als Folge des Weltkrieges, der sich nach Meinung der Leute bei größerer diplo- matischer Ehrlichkeit und Geschicklichkeit hätte vermeiden lassen. Man redet, vor allem mit dem Seitenblick auf Deutschland, von Kriegswillen und Kriegsschuld. Natürlich hätten Iswolski, Poincare und Grey die Absicht aufgegeben, die vollzogene Einkreisung rationen 191 1 in Tripolis und 1912 auf dem Balkan begannen, dem gewünschten politischen Ergebnis zuzuführen, wenn sie den heu- tsame Entladung der nicht nur politischen Spannung, viel- mit einer etwas anderen und weniger grotesken Verteilung [ächte, auch nur um ein weiteres Jahrzehnt aufzuhalten ge- wesen? Die Tatsachen sind immer stärker als die Menschen, und der Umkreis des Möglichen ist selbst für einen großen Staatsmann viel enger, als es der Laie sich denkt. Und was wäre geschichtlich damit geändert worden? Die Form, das Tempo der Katastrophe, nicht diese selbst. Sie war der notwendige Abschluß eines Jahr- hunderts abendländischer Entwicklung, das sich seit Napoleon in wachsender Erregung auf sie zu bewegte. Wir sind in das Zeitalter der Weltkriege eingetreten. Es be- ginnt im 19. Jahrhundert und wird das gegenwärtige, wahrschein- lich auch das nächste überdauern. Es bedeutet den Übergang von der Staatenwelt des 18. Jahrhunderts zum Imperium mundi. Es und Aktium, die von der Form der hellenistischen Staatenwelt ein- schließlich Roms und Karthagos zum Imperium Romanum hinüber- leiteten. Wie dieses den Bereich der antiken Zivilisation und ihrer DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 17 eine unbekannte Zeitdauer das Schicksal des Erdballs sein. Der Im- perialismus ist eine Idee, ob sie nun den Trägern und Vollstrek- kern zum Bewußtsein kommt oder nicht. Sie wird in unserem Falle vielleicht nie volle Wirklichkeit werden, vielleicht von anderen Ideen durchkreuzt werden, die außerhalb der Welt der weißen Völker Leben gewinnen, aber sie liegt als Tendenz einer großen geschicht- lichen Form in allem, was jetzt vor sich geht. Wir leben heute , »zwischen den Zeiten". Die Staatenwelt des Abend- landes war im 1 8. Jahrhundert ein Gebilde strengen Stils wie die gleichzeitigen Schöpfungen der hohen Musik und Mathematik. 1 Sie war vornehme Form, nicht nur in ihrem Dasein, sondern auch in ihren Handlungen und Gesinnungen. Es herrschte überall eine alte und mächtige Tradition. Es gab vornehme Konventionen des Re- gierens, der Opposition, der diplomatischen und kriegerischen Be- ziehungen der Staaten untereinander, des Einge läge und der Forderungen und Zugeständnisse bei Friedenssehl i Die Ehre spielte noch eine unangefochtene Rolle. Alles ging moniös und höflich vor sich wie bei einem Duell. Seitdem Peter der Große in Petersburg einen St Formen begründet hatte, 2 beginnt das Wort „Europa" in den allge- meinen Sprachgebrauch der westlichen Völker einzudringen und in- folgedessen, wie es üblich ist, unvermerkt auch in das praktische politische Denken und die geschichtliche Tendenz. Bis dahin war es ein gelehrter Ausdruck der geographischen Wissenschaft gewesen, die sich seit der Entdeckung Amerikas am Entwerfen von Land- karten entwickelt hatte. Es ist bezeichnend, daß das türkische Reich, damals noch eine wirkliche Großmacht, welche die ganze Balkanhalb- insel und Teile des südlichen Rußland besaß, instinktiv nicht dazu- gerechnet wurde. Und Rußland selbst zählte im Grunde nur als Petersburger Regierung. Wie viele der westlichen Diplomaten kann- ten denn Astrachan, Nishnij Nowgorod, selbst Moskau, und rechneten sie gefühlsmäßig zu „Euroj Kultur lag immer dort, wo stand gekommen war. In diesem „Europa" bildete Deutschland die Mitte, kein Staat, son- 1 Uni. d. Abendl. II, S.484f. 2 Polit. Schriften S. ii2ff. Jahre I 2 18 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE dem das Schlachtfeld für wirkliche Staaten. Hier wurde, zum afrika und Nordamerika gehören sollten. Im Osten lagen Rußland, Österreich und die Türkei, im Westen Spanien und Frankreich, die sinkenden Kolonialreiche, denen die Insel England den abgewann, den Spaniern endgültig 171 3, den England wurde die führende Macht in diesem System, nicht nur ab Staat, sondern auch als Stil. Es wurde sehr reich im Verhältnis zum aufgefaßt — und setzt diesen Reichtum in Gestalt gemieteter Sol- daten, Matrosen und ganzer Staaten an, die gegen Subsidien für die Am Ende des Jahrhunderts hatte Spanien längst aufgehört, eine Großmacht zu sein, und Frankreich war dazu bestimmt, ihm zu fol- gen : beides altgewordene, verbrauchte Völker, stolz aber müde, der Vergangenheit zugewendet, ohne den wirklichen Ehrgeiz, der von Eitelkeit streng zu scheiden ist, eine schöpferische Rolle auch in der Zukunft zu spielen. Wären Mirabeaus Pläne 1789 gelungen, so wäre eine leidlich beständige konstitutionelle Monarchie entstan- den, die sich im wesentlichen mit der Aufgabe begnügt hätte, den Rentnergeschmack der Bourgeoisie und der Bauern zu befriedigen. Unter dem Direktorium lag die Wahrscheinlichkeit vor, daß das Land, resigniert und aller Ideale satt, sich mit jeder Art von Re- gierung zufrieden gegeben hätte, welche die Ruhe nach außen und innen gewährleistete. Da kam Napoleon, ein Italiener, der Paris zur den Typus des letzten Franzosen, der noch ein volles Jahr* hundert lang Frankreich als Großmacht aufrechterhalten hat: fer, elegant, prahlerisch, roh, voller Freude am Töten, Plündern, ; dem Elan ohne Ziel, nur um seiner selbst willen, so daß alle Siege trotz unerhörten Blutvergießens Frankreich nicht den ge- ringsten bleibenden Vorteil gebracht haben. Nur der Ruhm gewann dabei, nicht einmal die Ehre. Im Grunde war es ein Jakobinerideal, das gegenüber dem girondistischen der kleinen Rentner und Spieß- bürger nie die Mehrheit hinter sich hatte, aber stets die Macht. Mit statt der DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE Masse, der Krieg als Aufgebot von Massen, die Schlacht als Ver- schwendung von Menschenleben, die brutalen Friedensschlüsse, die Diplomatie der Advokatenkniffe ohne Manieren. Aber England hatte ganz Europa und seinen eignen ganzen Reichtum nötig, um diese Schöpfung eines einzelnen Mannes zu vernichten, die dennoch als Gedanke weiterlebte. Auf dem Wiener Kongreß siegte noch einmal das 1 8. Jahrhundert über die neue Zeit. Das hieß seitdem ..kon- servativ". Es war nur ein scheinbarer Sieg, dessen Erfolg das ganze Jahr- hundert hindurch beständig in Frage gestellt war. Metternich, dessen politischer Blick — was man auch gegen seine Person sagen mag — tiefer in die Zukunft drang als der irgendeines Staatsmannes nach Bismarck, sah das mit unerbittlicher Klarheit: „Mein geheimster Gedanke ist, daß das alte Europa am Anfang seines Endes ist. Ich werde, entschlossen mit ihm unterzugehen, meine Pflicht zu tun wissen. Das neue Europa ist anderseits noch im Werden; zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben." Nur um dieses Chaos solange als möglich zu verhindern, entstand das System des Gleichgewichts der großen Mächte, beginnend mit der Heiligen Allianz zwischen Österreich, Preußen und Rußland. Verträge wurden geschlossen, Bündnisse gesucht, Kongresse abgehalten, um nach Möglichkeit jede Erschütterung des politischen „Europa" zu verhindern, das sie nicht ertragen hätte; und wenn trotzdem ein Krieg zwischen einzelnen Mächten ausbrach, rüsteten sofort die Neutralen, um beim Friedensschluß trotz geringer Grenzverschie- bungen das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten: der Krimkrieg ist ein klassisches Beispiel. Nur eine Neubildung ist erfolgt: Deutsch- land, die persönliche Schöpfung Bismarcks, wurde eine Großmacht, und zwar in der Mitte des Svstems der älteren. In dieser schlichten Tatsache liegt der Keim einer Tragik, die durch nichts zu umgehen war. Aber solange Bismarck herrschte — und er hat in Europa geherrscht, mehr als einst Metternich — , änderte sich nichts in dessen politischem Gesamtbild. Europa war unter sich; niemand mischte sich in seine Angelegenheiten. Die Weltmächte waren ohne Aus- nahme europäische Mächte. Und die Angst vor dem Ende dieses Zustandes — ■ das, was Bismarck le cauchemar des coalitions nannte, gehört dazu — leitete die Diplomatie aller zugehörigen Staaten. 2* 20 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE Aber trotzdem war die Zeit schon 1878 für den ersten Wel greifen, Frankreich und Österreich auch ; der Krieg wäre sofort nach Asien und Afrika und vielleicht Amerika ausgedehnt worden, denn ypten und den Suezkanal, chinesische Probleme traten her- vor, und dahinter lag der beginnende Wettstreit Londons und New- yorks, das die englischen Sympathien für die Südstaaten im Sezes- heit Bismarcks schob die Entscheidung der großen Machtfragen, die auf friedlichem Wege unmöglich war, der Zukunft zu, aber Wettrüsten für mögliche trat, eine neue Form des Krieges im gegen- seitigen Ubertreffen an Zahl der Soldaten, der Geschütze, der Er- findungen, der zur Verfügung stehenden Geldsummen, die die Span- nung seitdem längst ins Unerträgliche wachsen ließ. 1 Und eben damals begann, vom Europa der Bismarckzeit gänzlich unbeachtet, Japan unter Mutsuhito (1869) sich zu einer Großmacht europäi- und die Vereinigten Staaten zogen die Folgerung aus dem krieg von 1861 — 65, in welchem das Element der Börsen erlegen war: der Dollar begann eine Rolle in spielen. Seit dem Ende de3 Jahrhunderts wird der Verfall dieses Staaten- ner, unter denen es keinen einzigen von irgendweicher Bedeutur mehr gibt. Sie erschöpfen sich alle in den gewohnten 3 Bündnissen und Verständigungen, vertrauen Amtszeit auf die äußere Ruhe, welche durch die stehenden Heere repräsentiert wurde, und denken alle an die Zukunft wie an eine verlängerte Gegenwart. Und über alle Städte Europas und Nord- amerikas hin hallt das Triumphgeschrei über den „Fortschritt der Menschheit", der sich in der Länge der Eisenbahnen und Leit- artikel, der Höhe der Fabrikschornsteine und radikalen Wahlzif- lzerplatten und DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 1 Geldschränken täglich bewies ; ein Triumphgeschrei, das den Donner und Havanna und selbst den der neuen japanischen Steilfeuer- geschütze übertönte, mit denen die kleinen vom dummen Europa verwöhnten und bewunderten gelben Männer bewiesen, auf wie schwachen Füßen dessen technische Überlegenheit stand, und mit denen sie das auf seine Westgrenze st drücklich wieder an Asien erinnerten. jetzt „Europa" zu beschäftigen : Es stand fest, daß Österreich-1 Tod des Kaisers Franz Josef nicht oder kaum überleben werc es fragte sich, in welchen Formen die Neuordnung dieser Gebiete sich vollziehen und ob das ohne Krieg möglich sein werde. Es gab außer verschiedenen, einander ausschließenden Plänen und Tendenzen im Innern des Donaureiches die Gedanken von hoffen- n und darüber hinaus die Erwartungen fernerer Mächte, Konflikt wünschten, um anderswo ihren eigenen Zielen lerzukommen. Das Staatensystcm Europas als Einheit war nun zu Ende, und der 1878 aufgeschobene Weltkrieg drohte um der- selben Probleme willen an derselben Stelle auszubrechen. Es geschah 191 2. Inzwischen begann dieses System in eine Form überzugehen, die heute noch fortdauert und die an den Orbis terrarum der späthellenisti- schen und römischen Jahrhunderte erinnert : in der Mitte lagen da- mals die alten Stadtstaaten der Griechen einschließlich Roms und Karthagos und rings umher der „Kreis der Länder", der für ihre Entscheidungen die Heere und das Geld lieferte. 1 Aus der Erbschaft Alexanders des Großen stammten Makedonien, Syrien und Ägypten, aus derjenigen Karthagos Afrika und Spanien, Rom hatte Nord- um die Frage, wer das kommende Imperium organisieren und beherrschen sollte, wurde von Hannibal und Scipio bis auf Antonius und Oktavian mit den Mitteln der großen Randgebiete geführt. Und ebenso entwickelten sich die Verhältnisse 6 in den letzten Jahrzehnten vor 1914» Eine Großmacht europäischen Stils war ein Staat, der auf europäischem Boden einige hunderttausend HJnt.d.Abendl. II, S. 5o6£. 22 DIE WELTKRIEGE UND T E Mann unter Waffen hielt und Geld und Material genug besaß, der dahinter in fremden Erdteilen weite Randgebiete beherrschte, die mit ihren Flottenstützpunkten, Kolonialtruppen und einer Bevöl- kerung von Rohstoff erzeugern und Produktionsabnehmern die Unter- lage für den Reichtum und damit die militärische Stoßkraft des Kernlandes bildeten. Es war die gewissermaßen aktuelle Form des englischen Empire, des französischen Westafrika und des russischen Asien, während in Deutschland die Beschränktheit der Minister und Parteien die jahrzehntelange Gelegenheit versäumt hatte, in Mittel- afrika ein großes Kolonialreich zu errichten, das im Kriegsfall auch jedenfalls die völlige Ausschließung von der See verhindert hätte. Aus dem hastigen Streben, die noch verfügbare Welt in Interessen- sphären aufzuteilen, ergaben sich die sehr ernsten Reibungen zwi- schen Rußland und England in Persien und im Golf von Tschili, zwischen England und Frankreich in Faschoda, zwischen Frank- reich und Deutschland in Marokko, zwischen allen diesen Mächten in China. Überall lagen die Anlässe zu einem großen Kriege, der immer wie- der mit sehr verschiedener Verteilung der Gegner vor dem Ausbruch - im Faschodafalle und im russisch-japanischen Konflikt i Rußland und Frankreich auf der einen, England und Japan auf der anderen Seite — , bis er in einer völlig sinnlosen Form 191 4 zur Entwicklung kam. Es war eine Belagerung Deutschlands als des „Reichs der Mitte" durch die ganze Welt, der letzte Versuch, in alter Weise die großen fernen Fragen auf deutschem Boden auszu- kämpfen, sinnlos dem Ziel und dem Orte nach ; er hätte sofort eine ganz andere Gestalt, andere Ziele und einen anderen Ausgang ge- wonnen, wenn es gelungen wäre, Rußland frühzeitig zu einem Son- derfrieden mit Deutschland zu bringen, was notwendig den Über- gang Rußlands auf die Seite der Mittelmächte zur Folge gehabt haben würde. In dieser Gestalt war der Krieg ein notwendiger Miß- erfolg, denn die großen Probleme sind heute so ungelöst als je und konnten durch die Verbindung von natürlichen Feinden wie England und Rußland, Japan und Amerika gar nicht gelöst werden. DIE WELTKRIEGE D plomatie, deren letzter Repräsentant Bismarck gewesen war. Keiner der jämmerlichen Staatsmänner begriff mehr die Aufgaben seines Amtes und die geschichtliche Stellung seines Landes. Mehr als einer hat es seitdem zugestanden, daß er ratlos und ohne sich zu wehren in den Gang der Ereignisse hineingetrieben wurde. So ging die Tat- sache „Europa" dumm und würdelos zu Ende. Wer war hier Sieger, wer der Besiegte? 191 8 glaubte man es zu wissen und Frankreich wenigstens hält krampfhaft an seiner Auf- fassung fest, weil es den letzten Gedanken seines politischen seins als Großmacht, die Revanche, seelisch nicht preisgeben Aber England? Oder gar Rußland? Hat sich hier die Gescl aus Kleists Novelle „Der Zweikampf" in abgespielt? War „Europa" der Besiegte? Oder die Mächte der Tra- dition? In Wirklichkeit ist eine neue Form der Welt entstanden als Voraussetzung künftiger Entscheidungen, die mit furchtbarer Wucht hereinbrechen werden. Rußland ist von Asien seelisch zu- rückerobert worden, und vom englischen Empire ist es fraglich, ob sein Schwerpunkt noch in Europa liegt. Der Rest ..Europas" befindet sich zwischen Asien und Amerika — zwischen Rußland und Japan im Osten und Nordamerika und den englischen Domi- nions im Westen — und besteht heute im Grunde nur noch aus Deutschland, das seinen alten Rang als Grenzmacht gegen „Asien" wieder einnimmt, aus Italien, das eine Macht ist, solange Mussolini lebt, und vielleicht im Mittelmeer die größere Basis einer wirklichen Weltmacht gewinnen wird, und Frankreich, das sich noch einmal als Herrn von Europa betrachtet und zu dessen politischen Ein- richtungen der Genfer Völkerbund und die Gruppe der Südost- staaten gehören. Aber alles das sind vielleicht oder wahrscheinlich flüchtige Erscheinungen. Die Verwandlung der politischen Formen der einigen Jahrzehnten die rikas aussehen wird. Was Metternich unter dem Chaos verstand, das er durch seine ent- sagungsvolle, unschöpferische, nur auf die DIE WELTKRIEGE UND WELTMACHTE den gerichtete Tätigkeit solange als von Europa fernhalten Gleichgewicht der Mächte als Staatshoheit seihst in den einzelnen Ländern, die uns seitdem seihst als Begriff so gut wie verloren gegangen ist. Was wir heute als „Ordnung" anerkennen und in „liberalen" Verfassungen festlegen, ist nichts als eine zur Gewohnheit gewordene Anarchie. Wir nennen das Demokratie, Parlamentarismus, Selbstregierung des Vol- Verantwortung bewußten eines wirklichen Staates. Geschichte politischer Mächte. Die Form dieser Geschichte ist der Krieg. Auch der Friede gehört dazu. Er ist die Fortsetzung des Krieges mit andern Mitteln: der Versuch des Besiegten, die Folgen des Krieges in der Form von Verträgen abzuschütteln, der Versuch des Siegers, sie festzuhalten. Ein Staat ist das „In Form sein" 1 einer durch ihn gebildeten und dargestellten völkischen Einheit für sie als solche schon den Wert eines siegreichen Krieges, der ohne Waffen, nur durch das Gewicht der verfügungsbereiten Macht ge- wonnen wird. Ist sie schwach, so kommt sie einer beständigen Nie- derlage in den Beziehungen zu anderen Mächten gleich. Staaten sind rein politische Einheiten, Einheiten der nach außen wirkenden Macht. Sie sind nicht an Einheiten der Rasse, Sprache oder Reli- solchen Einheiten decken oder kreuzen, so wird ihre Kraft infolge des inneren Widerspruches in der Regel geringer, nie größer. arn. Wo sie andere, eigene Ziele fall, das Außer-Form-geraten des Staates. Zum „In Form sein" einer Macht als Staat unter Staaten gehört aber vor allem die Stärke und Einheit der Führung, des Regierens» der Autorität, ohne welche der Staat tatsächlich nicht vorhanden ist. Staat und Regierung sind dieselbe Form, als Dasein oder als Tätig Unt. d. Abendl. II, S. 444ff. DIE WELTKRIEGE UND WELT MÄCHTE 25 durch die dynastische, höfische, gesellschaftliche Tradition streng bestimmt und in weitem Maße mit ihr identisch war. Das Zere- moniell, der Takt der guten Gesellschaft, die vornehmen Manieren des Handelns und Verhandeins sind nur ein sichtbarer Ausdruck davon. Auch England war ,,in Form": die Insellage ersetzte wesent- liche Züge des Staates und im regierenden Parlament war eine durchaus aristokratische, sehr wirksame Form, die Geschäfte zu be- handeln, durch alten Brauch festgelegt. Frankreich geriet in eine Revolution, nicht weil „das Volk" sich gegen den Absolutismus auf- lehnte, der hier gar nicht mehr vorhanden war, nicht wegen des Elends und der Verschuldung des Landes, die anderswo viel größer waren, sondern weil die Autorität in Auflösung begriffen war. Alle Revolutionen gehen vom Verfall der Staatshoheit aus. Ein Aufstand der Gasse kann diese Wirkung gar nicht haben. Er folgt nur daraus. Eine moderne Republik ist nichts als die Ruine einer Monarchie, die sich selbst aufgegeben hat. Mit dem ig. Jahrhundert gehen die Mächte aus der Form des dy- nastischen Staates in die des Nationalstaates über. Aber was Im großen und ganzen deckten sie sich auch mit den Machtgebieten der großen Dynastien. Diese Nationen waren Ideen, in dem Sinne wie Goethe von der Idee seines Daseins spricht: die innere Form eines bedeutenden Lebens, die unbewußt und unvermerkt sich in jeder Tat, in jedem Wort verwirklicht. „La naiiori' im Sinne von 1789 war aber ein rationalistisches und romantisches Ideal, ein Wunschbild von ausdrücklich politischer, um nicht zu sagen sozialer Tendenz. Das kann in dieser flachen Zeit niemand mehr unterscheiden. Ein Ideal ist ein Ergebnis des Nachdenkens, ein Begriff oder Satz, der formuliert sein muß, um das Ideal zu „haben". Infolgedessen wird es nach kurzer Zeit zum Schlagwort, das man gebraucht, ohne sich noch etwas dabei zu denken. Ideen da- en sind wortlos. Sie kommen ihren Trägern selten oder gar müssen im Bilde des Geschehens gefühlt, in ihren en beschrieben werden. Definieren lassen sie 26 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE über das einzelne Leben hinaus schicksalhaft in eine Richtung srtums, e Idee des Strebens ins Unendliche. Die wirklichen Nationen sind Ideen, auch heute noch. Was aber der Nationalismus seit 1789 meint, wird schon dadurch gekenn- zeichnet, daß er die Muttersprache mit der Schriftsprache der gro- ßen Städte verwechselt, in der jeder lesen und schreiben lernt, mit der Sprache also der Zeitungen und Flugblätter, durch die jeder über das „Recht" der Nation und ihre notwendige Befreiung von irgend etwas aufgeklärt wird. Wirkliche Nationen sind, wie jeder lebendige Körper, von reicher innerer Gliederung; sie sind durch ihr bloßes Dasein schon eine Art von Ordnung. Der politische Ra- tionalismus versteht aber unter „Nation" die Freiheit von, den Kampf gegen jede Ordnung. Nation ist ihm gleich Masse, formlos und ohne Aufbau, herrenlos und ziellos. Das nennt er Souverän i- Denken und Fühlen des Bauerntums, er verachtet Sitte und Brauch des echten Volkslebens, zu denen auch, und zwar ganz besonders, furcht vor der Autorität gehört. Er kennt keine Ehrfurcht, int nur Prinzipien, die aus Theorien stammen. Vor allem das plebejische der Gleichheit, das heißt den Ersatz der verhaßten Qua- lität durch die Quantität, der beneideten Begabung durch die Zahl. ist revolutionär und städtisch durch und durch. Am verhängnisvollsten ist das Ideal der Regierur des Volkes so wenig eine Armee sich selber führen kann. Es muß regiert wer- den und es will das auch, solange es gesunde Instinkte besitzt. Aber es ist etwas ganz anderes gemeint: der Begriff der Volks- vertretung spielt in jeder solchen Bewegung sofort die erste Rolle. Da kommen die Leute, die sich selbst zu „Vertretern" des Volkes ernennen und als solche empfehlen. Sie wollen gar nicht „dem Volke dienen"; sich des Volkes bedienen wollen sie, zu eige- nen, mehr oder weniger schmutzigen Zwecken, unter denen die Be- friedigung der Eitelkeit der harmloseste ist. Sie bekämpfen die Mächte der Tradition, um sich an ihre Stelle zu DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 27 dert. Sie bekämpfen jede Art von Autorität, weil sie niemandem Wege gehen. Keine Verfassung enthält eine Instanz, vor welcher die Parteien sich zu rechtfertigen hätten. Sie bekämpfen vor allem die langsam herangewachsene und gereifte Kulturform des Staates, weil sie sie nicht in sich haben wie die gute Gesellschaft, die society des 18. Jahrhunderts, und sie deshalb als Zwang empfinden, was sie für Kulturmenschen nicht ist. So entsteht die „Demokratie" des Jahrhunderts, keine Form, sondern die Formlosigkeit in je Sinne als Prinzip, der Parlamentarismus als verfassungsma Anarchie, die Republik als Verneinung jeder Art von Autorität. So gerieten die europäischen Staaten außer Form, je lieh er" sie regiert wurden. Das war das Chaos, das Metternich be- wog, die Demokratie ohne Unterschied der Richtung zu bekämpfen — die romantische der Befreiungskriege wie die rationalistische der Bastillestürmer, die sich dann 18^8 vereinigten — und allen Refor- men gegenüber gleich konservativ zu sein. In allen Ländern bil- deten sich seitdem Parteien, das heißt neben einzelnen Idealisten von Geschäftspolitikern zweifelhafter Herkunft und mehr zweifelhafter Moral: Journalisten, Advokaten, Börsianer, Lite- raten, Parteifunktionäre. Sie regierten, indem sie ihre Interessen vertraten. Monarchen und Minister waren stets irgendwem ver- antwortlich gewesen, zum mindesten der öffentlichen Meinung. Nur diese Gruppen waren niemand Rechenschaft schuldig. Die Presse, entstanden als Organ der öffentlichen Meinung, diente längst dem, der sie bezahlte ; die Wahlen, einst Ausdruck dieser Meinung, führ- ten die Partei zum Siege, hinter der die stärksten Geldgeber standen. Wenn es trotzdem noch eine Art von staatlicher Ordnung, von ge- wissenhaftem Regieren, von Autorität gab, so waren es die Reste der Form des 18. Jahrhunderts, die sich in Gestalt der wenn auch noch so konstitutionellen Monarchie, des Offizierkorps, der Parlaments, vor allem des Oberhauses, und seiner zwei Parteien erhalten hatten. Ihnen verdankt man alles, was an staatlichen Leistungen trotz der Parlamente zustande kam. Hätte Bismarck sich nicht auf seinen König stützen können, so wäre er sofort 1. Der politische Dilettantismus, dessen 28 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE melplatz die Parlamente waren, betrachtete diese Mächte der Tradition denn auch mit Mißtrauen und Haß. Er bekämpfte sie grundsätzlich und hemmungslos ohne Rücksicht auf die äußeren Folgen. So wird die Innenpolitik überall ein Gebiet, das weit über seine eigentliche Bedeutung hinaus die Tätigkeit aller erfahrenen Staatsmänner notgedrungen an sich zog, ihre Zeit und Kraft ver- geudete, und über dem man den ursprünglichen Sinn der Staats- leitung, die Führung der Außenpolitik, vergaß und vergessen wollte. Das ist der Demokratie bezeichnet wird und der von der chischen Staatshoheit durch den politischen, lismus zum Cäsarismus der Zukunft hinüberführt, der diktatorischen Tendenzen sich leise zu melden ist, das Trümmerfeld geschichtlicher Traditionen beherrschen. Zu den ernsthaftesten Zeichen des Verfalls der Staatshoheit ge- hört die Tatsache, daß im Lauf des 19. Jahrhunderts der Eindruck herrschend geworden ist, die Wirtschaft sei wichtiger als die Poli- tik. Unter den Leuten, die heute irgendwie den Entscheidungen nahe stehen, gibt es kaum einen, der das entschieden ablehnt. Man betrachtet die politische Macht nicht etwa nur als ein Element des öffentlichen Lebens, dessen erste, wenn nicht einzige Aufgabe es ist, der Wirtschaft zu dienen, sondern es wird erwartet, daß sie sich den Wünschen und Ansichten der Wirtschaft vollkommen füge, und zuletzt, daß sie von den Wirtschaftsführern komman- diert werde. Das ist denn auch in weitem Umfang geschehen, mit welchem Erfolg, lehrt die Geschichte dieser Zeit. In Wirklichkeit lassen sich Politik und Wirtschaft im Leben der Völker nicht trennen. Sie sind, wie ich immer wiederholen muß, zwei Seiten desselben Lebens, aber sie verhalten sich wie die Füh- ist der Kapitän die erste Person, nicht der Kaufherr, dem die La- dung gehört. Wenn heute der Eindruck vorherrscht, daß die Wirt- »ere Element ist, so liegt das daran, daß le fünruna der DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE und die Bezeichnung einer wirkliehen Führung kaum noch verdient, und daß deshalb die wirtschaftliche höher zu ragen scheint. Aber wenn nach einem Erdbeben ein Haus zwischen Trümmern stehen geblieben ist, so ist es deshalb nicht das wichtigste gewesen. In der Geschichte, solange sie „in Form" verläuft und nicht tumultuarisch und revolutionär, ist der Wirtschaftsführer niemals Herr der Ent- scheidungen gewesen. Er fügte sich den politischen Erwägungen ein, er diente ihnen mit den Mitteln, die er in Händen hatte. Ohne eine gegeben, obwohl die materialistische Theorie das Gegenteil lehrt. Adam Smith, ihr Begründer, hatte das wirtschaftliche Leben als das eigent- liche menschliche Leben behandelt, das Geldmachen als den Sinn der Geschichte, und er pflegte die Staatsmänner als schädliche Tiere zu bezeichnen. Aber gerade in England waren es nicht Kaufleute und Fabrikbesitzer, sondern echte Politiker wie die beiden Pitt, die durch eine großartige Außenpolitik, oft unter leidenschaftlichstem Widerspruch der kurzsichtigen Wirtschaftsleute, die englische Wirt- schaft zur ersten der Welt gemacht haben. Reine Staatsmänner waren es, welche den Kampf gegen Napoleon bis an die Grenzen des finanziellen Zusammenbruchs führten, weil sie weiter sahen als bis zur Bilanz des nächsten Jahres, wie es jetzt üblich ist. Aber heute besteht die Tatsache, daß infolge der Belanglosigkeit der lei- tenden Staatsmänner, die zum großen Teil selbst an Privatgeschäften interessiert sind, die Wirtschaft maßgebend in die Entscheidungen hineinredet, aber nun auch die Wirtschaft in ihrem vollen Um- fang: nicht nur die Banken und Konzerne, mit oder ohne partei- rung und Arbeitsverkürzung, die sich Arbeiterparteien nennen. Das letzte ist die notwendige Folge des ersten. Darin liegt die Tragik jeder Wirtschaft, die sich selbst politisch sichern will. Auch das begann 1789, mit den Girondisten, welche die Geschäfte des wohl- habenden Bürgertums zum Sinn des Vorhandenseins staatlicher Ge- walten machen wollten, was nachher unter Louis Philipp, dem weit role: „Enrichis$ez~vous" wird zur politischen Moral. Sie wurde zu gut verstanden und befolgt, nämlich nicht nur von Handel und Politikern selbst, sondern auch von 30 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE der Lohnarbeiter, welche nun — i848 — die Vorteile des Verfalls Revolution des ganzen Jahrhunderts, die man Demokratie nennt und die in Revolten der Masse durch Wahlzettel oder Barri- kaden, der „Volksvertreter" durch parlamentarische Ministerstürze und Budgetverweigerungen dem Staat gegenüber in periodische Er- scheinungtritt, eine wirtschaftliche Tendenz. Auch in England, wo die Freihandelslehre des Manchestertums von den Trade Unions auch auf und Engels dann im Kommunistischen Manifest theoretisch aus- gestaltet haben. Damit vollendet sich die Absetzung der Politik durch die Wirtschaft, des Staates durch das Kontor, des Diplomaten durch den Gewerkschaftsführer: hier und nicht in den Folgen des Welt- krieges liegen die Keime für die Wirtschaftskatastrophe der Gegen- wart. Sie ist in ihrer ganzen Schwere nichts als eine Folge Die geschichtliche Erfahrung hätte das Jahrhundert warnen sollen. Niemals haben wirtschaftliche Unternehmungen ohne Deckung durch litisch denkende Staatsleitung ihr Ziel wirklich er- Es ist falsch, wenn man die Raubfahrten der Wikinger, mit denen die Seeherrschaft der abendländischen Völkerweit beginnt, so beurteilt. Ihr Ziel war selbstverständlich das Beutemachen — ob Aber das Schiff war ein Staat für sich, und der Plan der Fahrt, der Oberbefehl, die Taktik waren echte Politik. Wo aus dem Schiff eine Flotte wurde, kam es sofort zu Staatsgründungen, und zwar mit sehr ausgesprochenen Hoheitsregierungen wie in der Normandie, in England und Sizilien. Die deutsche Hansa wäre eine wirtschaftliche lacht geblieben, wenn Deutschland selbst es politisch ge- politisch zu sichern niemand als Aufgabe eines deutschen Staates empfand, schied Deutschland aus den großen weltwirtschaftlichen Kombinationen des Abendlandes aus. Es wuchs erst im 19. Jahr- hundert wieder in sie hinein, nicht durch private Bestrebungen, sondern einzig und allein durch die politische Schöpfung Bis- marcks, welche die Voraussetzung für den imperialistischen Auf- DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 31 Der maritime Imperialismus, der Ausdruck für das faustische Stre- ben ins Unendliche, begann große Formen anzunehmen, als mit der wege nach Asien politisch gesperrt wurden. Das ist der tiefere Anlaß für die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien durch die Portugiesen und die Entdeckung Amerikas durch die Spanier, hinter denen Großmächte der Zeit standen. Die treibenden Motive im ein- zelnen waren Ehrgeiz, Abenteurerlust, Freude an Kampf und Ge- fahr, Hunger nach Gold und nicht etwa „gute Geschäfte". Die ent- deckten Länder sollten erobert und beherrscht werden; sie sollten die Macht der Habsburger in den europäischen Kombinationen stär- ken. Das Reich, in dem die Sonne nicht unterging, war ein poli- erst insofern ein Feld für wirtschaftliche Erfolge. Es wurde nicht anders, als England den Vorrang gewann, nicht durch seine wirt- schaftliche Stärke, die zunächst gar nicht vorhanden war, sondern durch das kluge Regiment des Adels, seien es nun Tories oder Whigs. Durch Schlachten ist England reich geworden, nicht durch Ruchführung und Spekulation. Deshalb ist das englische Volk, so von Europa gewesen: konservativ im Sinne der Erhaltung aller Machtformen der Vergangenheit bis auf die geringsten zeremoniel- len Einzelheiten, mochte man auch darüber lächeln, sie zuweilen verachten ; solange keine stärkere neue Form zu sehen war, behielt man die alten alle : die beiden Parteien, die Art, wie die Regierung in ihren Entscheidungen sich vom Parlament unabhängig erhielt, Oberhaus und Königtum als retardierende Momente in kritischen Lagen. Dieser Instinkt hat England immer wieder gerettet, und wenn er heute erlischt, so bedeutet das nicht nur den Verlust der politischen, rand, Metternich, Wellington verstanden nichts von der W'irtschaft. Das war sicherlich ein Einwand. Aber es wäre schlimmer gewesen, wenn an ihrer Stelle ein wirtschaftlicher Fachmann versucht hätte, Politik zu machen. Erst als der Imperialismus in die Hände wirt- schaftlicher, materialistischer Geschäftemacher gerät, als er aufhört, macht politisch zu sein, sinkt er von den Interessen der wirtschaft- lichen Fi 32 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE fes der ausführenden Arbeit herab, und so zersetzen sich die großen Der folgenreichste Ausdruck der „nationalen" Revolution seit 1789 sind die stehenden Heere des 19. Jahrhunderts gewesen. Die Berufs- heere der dynastischen Staaten wurden durch Massenheere auf Grunde ein Jakobinerideal : die levee en masse von 1792 entsprach der Nation als Masse, die an Stelle der alten, gewachsenen, stän- gegiie werden sollte. Daß dann in den Sturmangriffen dieser uniformierten Massen etwas ganz anderes zum Vorschein kam, eine prachtvolle, barbarische, gänzlich untheoretische Freude an Gefahr, Herrschaft und Sieg, der Rest von gesunder Rasse, das was noch von nordi- schem Heldentum in diesen Völkern lebte, war eine Erfahrung, welche die Schwärmer für „Menschenrechte" sehr bald machten. Das Blut rung für das Ideal des „Volkes in Waffen" hatte ein ganz anderes, , rationalistischeres Ziel gehabt als die Entfesselung dieser auch in Deutschland in und vor allem nach den treiungskriegen, wo sie zu den Revolutionen von i83o und i848 hinüberleitete. Diese Heere, „in denen es keinen Unterschied von hoch und niedrig, reich und arm gab", sollten ein Abbild der künf- und der Begabung irgendwie aufgehoben waren. Das war der stille Gedanke vieler Freiwilligen von 181 3, aber ebenso des literarischen Jungen Deutschland (Heine, Herwegh, Freiligrath) und vieler Männer der Paulskirche (wie Unland). Das Prinzip der anorgani- Gleichheit war ihnen das Entscheidende. Die Leute vom der Jahn und Arndt ahnten nicht, daß es die Gleichheit war, die zum ersten Mal bei den Septembermorden von 1792 den Ruf Vive la nation ertönen ließ. Man vergaß eine grundlegende Tatsache : In der Romantik der Volks- DIE W ELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 33 Heere, ihr Geist, ihre Zucht, ihre Durchbildung hingen von Eigen- schaften des Offizierkorps ab, und dessen „In Form sein" be- ruhte ganz auf den Traditionen des 18. Jahrhunderts. Sittlich taugt auch bei den Jakobinern eine Truppe soviel wie der Offizier, der sie durch sein Vorbild erzogen hat. Napoleon bekannte auf St. He- lena, daß er nicht besiegt worden wäre, wenn er zu dem prachtvollen Soldatenmaterial seiner Heere ein Offizierkorps wie das öster- reichische gehabt hätte, in dem die ritterlichen Überlieferungen von Treue, Ehre und schweigender selbstloser Disziplin noch lebendig waren. Wankt diese Führerschaft in ihrer Gesinnung und Haltung oder gibt sie sich selbst auf wie 191 8, so ist aus einem tapferen Regiment im Augenblick eine feige und hilflose Herde geworden. Es wäre bei der raschen Zersetzung der Macht f ormen in Europa ein Wunder gewesen, wenn dieses Machtmittel ihr standgehalten hätte. Und trotzdem war es so. Die großen Heere sind das konser- vativste Element des 19. Jahrhunderts gewesen. Sie und nicht die schwachgewordene Monarchie, der Adel oder gar die Kirche hielten die Form der staatlichen Autorität aufrecht und lehensfähig gegen die anarchischen Tendenzen des Liberalismus. „Was aus dem Schutte sich herausbilden wird, dies kann heute niemand wissen. Ein Element der Kraft hat sich nicht allein in Österreich, sondern im gesamten so hart gedrängten Europa erhoben, dieses Element heißt: die stehenden Heere. Leider ist dieses Element nur ein er- haltendes und kein schaffendes, und auf das Schaffen kommt es eben an", schrieb Metternich 1849. 1 Und zwar beruhte das aus- schließlich auf den strengen Anschauungen der Offizierkorps, zu welchen die Mannschaft herangebildet worden war. Wo es i848 und später zu örtlichen Meutereien und Aufständen kam, lag die Schuld immer an der sittlichen Minderwertigkeit der Offiziere. Politisierende Generale, die aus ihrem militärischen Rang die Be- fähigung und das Recht zu staatsmännischen Urteilen ableiteten und danach zu handein versuchten, hat es immer gegeben, in Spa- nien und Frankreich wie in Preußen und Österreich, aber das Offi- zierkorps als Ganzes verbot sich überall eine eigene politische Mei- nung. Nur die Heere, nicht die Kronen hielten i83o, i848, 1870 stand. 1 An Hartig, 3o. März. Ebenso Bismarck, Gedanken und Erinnerungen I, S. 63. I 3 34 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE Sie haben seit 1870 auch den Krieg verhindert, weil niemand mehr diese ungeheure Macht in Bewegung zu setzen wagte aus Furcht vor der unberechenbaren Wirkung, und damit haben sie den anor- malen Friedenszustand von 1870 bis 191 4 heraufgeführt, der es uns heute fast unmöglich macht, die Lage der Dinge richtig zu beurteilen. 1 An die Steile unmittelbarer Kriege trat nun der mittel- bare in Gestalt einer ständigen Erhöhung der Kriegsbereitschaft, des Tempo der Rüstungen und technischen Erfindungen, ein Krieg, in dem es ebenfalls Siege, Niederlagen und kurzlebende Friedens- schlüsse gab. 2 Diese Art von verschleierter Kriegführung setzt aber einen nationalen Reichtum voraus, wie ihn nur die Länder mit aus dieser Industrie selbst, sofern sie ein Kapital darstellte — und diese hatte zur Voraussetzung das Vorhandensein von Kohle, auf deren Vorkommen die Industrien aufgebaut wurden. 3 Zum Krieg- So wurde die industrielle Großwirtschaft selbst zur Waffe; je lei- stungsfähiger sie war, desto entschiedener sicherte sie von vornherein •eitschaft. Die Aussicht auf erfolgreiche Operationen wurde mehr und mehr abhängig von der Möglichkeit unumschränkten Ma- terialverbrauchs, vor allem an Munition. Man wurde sich dieser Tatsache nur sehr langsam bewußt. Bismarck legte bei den Frie- densverhandlungen von 1871 noch allein Wert auf strategische Punkte wie Metz und Beifort und gar keinen auf das lothringische Erzrevier. Als man dann aber das ganze Verhältnis zwischen Wirt- schaft und Krieg, zwischen Kohle und Kanonen erkannt hatte, wie nun bestand, kehrte es sich um: Die starke Wirtschaft war die ührung geworden; sie for- nun begannen in steigendem Maße die Kanonen der Kohle zu dienen. 4 Der Verfall des Staats- gedankens infolge des um sich greifenden Parlamentarismus trat derte dafür die erste Beachtung 1 Siehe S. 10, 2 Unt. d. Abendl. II, S. 534. Polit. Schriften S. i32. s Polit. Schriften S.329ff. 4 Polit. Schriften S. 33o. den der Außenpolitik mitzubestimmen. Die Kolonial- und Übersee- der Industrie, darunter in steigendem Maße um die Ölvorkommen. Denn das Erdöl begann die Kohle zu bekämpfen, zu verdrängen. Ohne die Ölmotoren wären Automobile, Flugzeuge und Untersee- boote unmöglich gewesen. In derselben Richtung verwandelte sich die Bereitschaft für den Seekrieg. 1 Noch zu Beginn des amerikanischen Bürgerkrieges waren armierte Handelsschiffe den gleichzeitigen Kriegsschiffen nahezu ebenbürtig. Drei Jahre später waren Panzerschiffe der seebeherr- Tempo der Konstruktion immer größerer und stärkerer Typen, von denen jeder nach ein paar Jahren veraltet war, die schwimmenden Festungen der Jahrhundertwende, ungeheure Maschinen, die infolge ihres Kohlebedarfs von Stützpunkten an der Küste immer abhängiger wurden. Der alte Wettkampf um den Vorrang von Meer oder Land begann sich in bestimmtem Sinne wieder dem Lande zuzuneigen: Wer die Flottenstützpunkte mit ihren Docks und Materialreserven hatte, beherrschte das Meer, ohne Rücksicht auf die Stärke der Flotte. Das Rule Britannia beruhte zuletzt auf dem Reichtum Eng- lands an Kolonien, die um der Schiffe willen da waren, nicht um- gekehrt. Das war nunmehr die Bedeutung von Gibraltar, Malta. Aden, Singapore, den Bermudas und zahlreichen ähnlichen strate- gischen Stützpunkten. Man verlor den Sinn des Krieges, die Ent- scheidungsschlacht zur See, aus den Augen. Man suchte die feind- liche Flotte wirkungslos zu machen, indem man sie von den Küsten ausschloß. Es hat zur See nie etwas gegeben, das den Operations- plänen der Generalstäbe entsprach, und es ist nie eine Ent- scheidung mit diesen Schlachtschiffgeschwadern wirklich durch- gekämpft worden. Der theoretische Streit über den Wert der Dread- noughts nach dem russisch- japanischen Kriege beruhte gerade dar- auf, daß Japan den Typ gebaut, aber nicht erprobt hatte. Auch im Weltkrieg lagen die Schlachtschiffe still in den Häfen. Sie hätten gar nicht zu existieren brauchen. Auch die Schlacht am Skagerrak war nur ein Überfall, das Angebot einer Schlacht, der sich die eng- i Unt. d. Abendl. II, S. 5a4. Polit. Schriften S. i34ff., i^fi. 3* politik wird zum Kampf um 36 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE liscbe Flotte so gut als möglich entzog. Fast alle große» Schiffe, worden sind, haben nie einen Schuß auf einen ebenbürtigen Gegner abgegeben. Und heute macht die Entwicklung der Luftwaffe es fraglich, ob die Zeit der Panzerschiffe nicht überhaupt zu Ende ist. Vielleicht bleibt nur der Kaperkrieg übrig. Verlauf des Weltkrieges tritt auf dem festen Lande eine voll- imene Wandlung ein. Die nationalen Massenheere, bis an die Frenze ihrer Möglichkeiten entwickelt, eine Waffe, die im Gegensatz zur Schlachtflotte wirklich „erschöpft" wurde, endeten im Schützengraben, in dem die Belagerung Deutschlands mit Stür- Quantität siegte über die Qualität, die Mechanik über das Leben. Die große Zahl machte der Geschwindigkeit derjenigen Art ein Ende, die Napoleon in die Taktik eingeführt hatte, am deutlichsten im Feldzug von i8o5, der in ein paar Wochen über Ulm nach Austerlitz führte, und die von den Amerikanern 1861 — 65 durch die Verwendung "der Eisenbahnen noch weiter gesteigert wurde. Ohne die Bahnen, welche Deutschland die und West möglich machten, wäre auch und Dauer nach unmöglich gewesen. Es gibt in der Weltgeschichte zwei ganz große Umwälzungen in der Kriegführung durch plötzliche Steigerung der Beweglichkeit. Die eine fand in den ersten Jahrhunderten seit 1000 v. Chr. statt, als irgendwo in den weiten Ebenen zwischen Donau und Amur das Reitpferd aufkam. Die berittenen Heere waren dem Fußvolk 1 weit überlegen. Sie konnten auftauchen und verschwinden, ohne daß ein Angriff auf sie und eine Verfolgung möglich waren. Fußvolk eine Reiterei auf : sie war durch jenes an Bewegung verhindert. Und ebenso vergebens wird das römische die nur in der Schlacht und nicht auf dem, ! etwa ein Jahrtausend älter, in demselben Gebiet entstanden und haben überall, wo sie auftauchten, eine ungeheuere Überlegenheit über die damalige Kampf weise im Felde bewiesen, in China und Indien etwa seit i5oo, in Vorderaaien schon etwas früher, in der hellenischen Welt etwa seit 1600. Sie wurden bald allgemein rer- wendet und verschwanden, ab die Reiterei, wenn auch nur ab Spezialwaffe neben dem DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 37 das chinesische Imperium mit Wall und Graben umgeben, von denen die chinesische Mauer heute noch halb Asien durchquert und der römische Limes in der syrisch-arabischen Wüste eben jetzt wieder aufgefunden worden ist. Es war nicht möglich, hinter diesen Wällen die Sammlung der Heere so schnell durchzuführen, wie es die überraschenden Angriffe forderten: den Parthern, Hunnen, Skythen, Mongolen, Türken sind die chinesische, indische, römische, arabische und abendländische Weit mit ihrer seßhaften Bauern- daß Bauerntum und Reiterleben sich seelisch nicht vertragen, die Scharen Dschingiskhans verdanken ihre Siege der Geschwindigkeit. des durch die „Pferdekraft" der faustischen Technik. Bis in den ersten Weitkrieg hinein waren gerade die alten berühmten Kaval- lerieregimenter Westeuropas von ritterlichem Stolz, Abenteurer lust und Heldentum umwittert, mehr als jede andere Waffe. Sie waren Jahrhunderte hindurch die eigentlichen Wikinger des Landes. Sie stellten mehr und mehr den echten innerlichen Soidatenberuf , das Soldatenleben dar, weit mehr als die Infanterie der allgemeinen Wehrpflicht. In Zukunft wird das anders sein. Die Flugzeuge und Tankgeschwader lösen sie ab. Die Beweglichkeit wird damit über aber sozusagen der individuellen Maschine, im Gegensatz zum unpersönlichen Trommelfeuer der Schützen- gräben dem persönlichen Heldentum wieder große Aufgaben stellt. Aber viel tiefer als diese Entscheidung zwischen Masse und Beweg- lichkeit greift eine andere Tatsache in das Schicksal der stehenden Heere ein und sie* wird dem Grundsatz der allgemeinen nationalen Der Verfall der Autorität, der Ersatz des Staates durch die Partei, die fortschreitende Anarchie also hatte bis 191 4 vor dem Heere haltgemacht. Solange ein bleibendes Offizierkorps eine rasch wechselnde Mannschaft erzog, blieben die ethischen Werte der Waffenehre, Treue und des schweigenden Gehorsams, der Geist Friedrichs des Großen, Napoleons, Wellingtons, also des 1 8. Jahr- 28 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE ment der Stabilität. Erschüttert wurde es zuerst, als im Stellungs- krieg rasch ausgebildete junge Offiziere älteren, jahrelang im Felde stehenden Mannschaften gegenüberstanden. Auch hier hat der lange Friede von 1870 bis 191 4 eine Entwicklung aufgehalten, die mit dem fortschreitenden Verfall des „In Form seins" der Nationen ein- treten mußte. Die Mannschaft einschließlich der unteren Schichten des Offizierkorps, welche die Welt von unten sahen, weil sie Führer nicht aus innerem Beruf, sondern infolge vorübergehender Ver- wendung waren, bekamen eine eigene Meinung über politische Mög- lichkeiten, die, wie sich versteht, von außen, vom Feinde oder den radikalen Parteien des eigenen Landes durch Propaganda und Zer- setzungszellen importiert wurde, einschließlich des Nachdenkens über die Durchsetzung dieser Meinung. Damit ist das Element der Anarchie in das Heer geraten, das sie bis dahin allein fernzuhalten wußte. Und das setzte sich nach dem Kriege überall in den Kasernen der stehenden Friedensheere fort. Dazu kommt, daß vierzig Jahre lang der einfache Mann aus dem Volke ebenso wie der Berufspoli- tiker und radikale Parteiführer die unbekannte Wirkung moderner Heere fürchtete und überschätzte, gegen fremde Heere wie gegen Aufstände, und den Widerstand gegen sie deshalb als praktische Mög- lichkeit kaum noch in Betracht zog. 1 Die sozialdemokratischen Par- teien hatten überall vor dem Kriege den Gedanken an eine Revolution längst aufgegeben und behielten nur die Phrase in ihren Program- men bei. Eine Kompanie genügte, um Tausende aufgeregter Zivi- listen in Schach zu halten. Nun bewies aber der Krieg, wie gering die Wirkung selbst einer starken Truppe mit schwerer Artillerie gegenüber unseren steinernen Städten ist, wenn sie Haus für Haus verteidigt werden. Die reguläre Armee verlor den Nimbus der Un- besiegbarkeit in Revolutionen. Heute denkt jeder zwangsweise ein- gezogene Rekrut ganz anders darüber als vor dem Kriege. Und da- mit hat er das Bewußtsein verloren, bloßes Objekt der befehls- habenden Gewalt zu sein. Es ist mir sehr zweifelhaft, ob zum Bei- spiel in Frankreich eine allgemeine Mobilmachung gegen einen ge- fährlichen Feind überhaupt durchzuführen ist. Was soll geschehen, wenn sich die Massen DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 39 wie weit in ihr die moralische Zersetzung fortgeschritten ist und auf welchen Bruchteil von Leuten man wirklich zählen darf? Das Begeisterung für den Krieg zum Ausgangspunkt hatte, und der An- ailen Kulturen; man denke an den Ersatz des ausgehobenen römi- schen Bauernheeres durch besoldete Beruf sheere seit Marius und an die Folgen — der Weg zum Cäsarismus und in der Tiefe der in- stinktive Aufstand des Blutes, der unverbrauchten Rasse, des pri- mitiven Willens zur Macht gegen die materialistischen Mächte des Geldes und Geistes, der anarchistischen Theorien und der sie aus- nützenden Spekulation, von der Demokratie bis zur Plutokratie. 1 Diese materialistischen und plebejischen Mächte haben seit dem Ende des 1 8. Jahrhunderts folgerichtig zu ganz anderen Kriegsmit- teln gegriffen, die ihrem Denken und ihrer Erfahrung näher lagen. Neben den Heeren und Flotten, die in steigendem Maße für Zwecke angesetzt wurden, welche den Nationen selbst ganz fernlagen und lediglich den geschäftlichen Interessen einzelner Gruppen ent- dem echten Soldaten, Moltke etwa, verachtet und in ihrer Wirksam- keit sicherlich unterschätzt. Um so besser wußten die „modernen" Staatsmänner sie zu schätzen, die ihrer Herkunft und Veranlagung nach zuerst wirtschaftlich und dann — vielleicht — politisch dach- ten. Die fortschreitende Auflösung der Staatshoheit durch den Par- lamentarismus bot die Möglichkeit, die Organe der staatlichen Macht in dieser Richtung auszunützen. Vor allem geschah das in England, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus eine „Nation von shopkeepers" geworden war: die feindliche Macht sollte nicht militärisch unterworfen, sondern wirtschaftlich als Konkur- renzruiniert, als Abnehmerin englischer Waren aber erhalten werden. Das war das Ziel des freihändlerischen „liberalen" Imperialismus seit Robert Peel. Napoleon hatte die Kontinentalsperre als rein mili- Unt. d. DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE tärisches Mittel gedacht, weil ihm England gegenüber kein anderes zur Verfügung stand. Auf dem Kontinent schuf er nur neue Dyna- stien, während Pitt in der Ferne Handels- und Plantagenkolonien be- gründete. Der Krieg von 191 4 aber wurde von England nicht Frank- reichs oder gar Belgiens wegen, sondern „um des weekend willen" geführt, um Deutschland als Wirtschaftskonkurrenz wenn möglich für immer auszuschalten. 19 16 begann neben dem militärischen der planmäßige Wirtschaftskrieg, der fortgesetzt werden sollte, wenn der andere notwendig zum Ende kam. Die Kriegsziele wurden seitdem immer entschiedener in dieser Richtung gesucht. Der Ver- trag von Versailles sollte gar keinen Friedenszustand begründen, sondern die Machtverhältnisse derart regeln, daß das Ziel jederzeit mit neuen Forderungen und Maßnahmen gesichert werden konnte. Daher die Auslieferung der Kolonien, der Handelsflotte, die Be- schlagnahme der Bankguthaben, Besitzungen, Patente in allen Län- das Saarland, die Einführung der Republik, von der man mit Recht eine Untergrabung der Industrie durch die allmächtig gewordenen ten erwartete, und endlich die Reparationen, die wenig- im Sinne Englands keine Kriegsentschädigung sein sollten, sondern eine dauernde Belastung der deutschen Wirtschaft bis zu deren Erliegen. Aber damit begann, sehr gegen die Erwartung der Mächte, die den Vertrag diktiert hatten, ein neuer Wirtschaftskrieg, in dem wir uns heute befinden und der einen sehr erheblichen Teil der gegenwär- tigen „Weltwirtschaftskrise" bildet. Die Machtverteilung der Welt war durch die Stärkung der Vereinigten Staaten und deren Hoch- finanz und die neue Gestalt des russischen Reiches völlig verlagert, die Gegner und Methoden andere geworden. Der augenblickliche Krieg mit wirtschaftlichen Mitteln, den man in einer späteren Zeit vielleicht als den zweiten Weltkrieg bezeichnen wird, brachte ganz neue Formen der bolschewistischen Wirtschaftsoffensive in das Pfund, die von fremden Börsen aus geleiteten Inflationen als Zerstörung ganzer Nationalvermögen und die Autarkie der National- zur Vernichtung des gegnerischen it der Ex'u DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 41 gen großer Volker durchgeführt werden wird, den Dawes- und Youngplan als Versuche von Finanzgruppen, ganze Staaten zur Zwangsarbeit für Banken her abzudrücken. Es handelt sich in der Tiefe darum, die Lebensfähigkeit der eigenen Nation durch Ver- nichtung derjenigen fremder zu retten. Es ist der Kampf auf dem Bootskiel. Und hier werden, wenn alle anderen Mittel erschöpft sind, doch wieder die ältesten und ursprünglichsten, die militäri- schen, in ihre Rechte treten: die stärker gerüstete Macht wird die schwächere zwingen, ihre Wirtschaftsdefensive aufzugeben, zu ka- pitulieren, zu verschwinden. Die Kanonen sind letzten Endes doch stärker als die Kohle. Es läßt sich nicht absehen, wie dieser Wirt- schaftskrieg ausgehen wird, aber sicher ist, daß er zuletzt den Staat als Autorität, gestützt auf freiwillige und deshalb zuverlässige, gut durchgebildete und sehr bewegliche Berufsheere, in seine ge- schichtlichen Rechte wieder einsetzen und die Wirtschaft in die zweite Linie verweisen wird, wohin sie gehört. 8 In diesem Zeitalter des Übergangs, der Formlosigkeit zwischen den Zeiten", das wahrscheinlich noch lange nicht auf der Höhe der Verwirrung und der flüchtigen Gestaltungen angelangt ist, zeichnen sich ganz leise neue Tendenzen ab, die darüber hinaus in die fernere Zukunft deuten. Die Mächte beginnen sich zu bilden, der Form und der Lage nach, welche bestimmt sind, den Endkampf um die Herr- schaft auf diesem Planeten zu führen, von denen nur eine dem Im^ perium mandi den Namen geben kann und wird, wenn nicht ein ungeheures Schicksal es vernichtet, bevor es vollendet war. Nationen einer neuen Art sind im Begriff zu entstehen, nicht wie sie heute noch sind: Summen gleichgeordneter Individuen von gleicher Sprache, auch nicht wie sie vormals waren, als man in der Re- naissance ein Gemälde, eine Schlacht, ein Gesicht, einen Gedanken, eine Art von sittlicher Haltung und Meinung mit Sicherheit dem Stil, der Seele nach als italienisch erkannte, obwohl es einen italienischen Staat gar nicht gab. Faustische Nationen vom Ende des 20. Jahrhun- 42 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE selbstverständlich mit der gleichen Sprache, ohne daß die Kenntnis dieser Sprache sie bezeichnet oder abgrenzt, Menschen von starker heit des Blickes für die Dinge der Wirklichkeit gehört, den man heute in den großen Städten und unter Bücherschreibern nicht vom „Geist" bloßer Intelligenzen zu unterscheiden weiß, Menschen, die sich zu Herren geboren und berufen fühlen. Was kommt auf die Zahl an? Sie hat nur das vorige Jahrhundert tyrannisiert, das vor Quantitäten auf den Knien lag. Ein Mann bedeutet viel gegenüber einer Masse von Skiavenseelen, von Pazifisten und Weltverbesse- rern, die Ruhe um jeden Preis ersehnen, selbst um den der „Frei- heit". Es ist der Übergang vom populus Romanus der Zeit Hanni- bals zu den Repräsentanten des „Römertums" im i. Jahrhundert, die wie Marius und Cicero zum Teil gar nicht „Römer" waren. Es scheint, daß Westeuropa seine maßgebende Bedeutung verloren hat, aber von der Politik abgesehen scheint es nur so. Die Idee der faustischen Kultur ist hier erwachsen. Hier hat sie ihre Wurzeln und hier wird sie den letzten Sieg ihrer Geschichte erfechten oder rasch dahinsterben. Die Entscheidungen, wo sie auch fallen mögen, geschehen um des Abendlandes willen, seiner Seele freilich, nicht seines Geldes oder Glückes wegen. Aber einstweilen ist die Macht in die Randgebiete verlegt, nach Asien und Amerika. Dort ist es die Macht über die größte Binnenlandmasse des Erdballs, hier — in den Vereinigten Staaten und den englischen Dominions — die über die beiden durch den Panamakanal verbundenen weltgeschicht- lichen Ozeane. Indessen von den Weltmächten dieser Tage steht keine so fest, daß man mit Sicherheit sagen kann, sie werde in hundert, in fünfzig Jahren noch eine Macht, ja überhaupt noch vorhanden sein. Was ist heute eine Macht großen Stils? Ein staatliches oder staat- ähnliches Gebilde, mit einer Leitung, die weltpolitische Ziele hat und der Wahrscheinlichkeit nach auch die Kraft, sie durchzusetzen, gleichviel auf was für Mittel sie sich stützt : Heere, Flotten, politische Organisationen, Kredite, mächtige Bank- oder Industriegruppen von gleichem Interesse, endlich und vor allem eine starke strategische Position auf dem Erdball. Man kann sie alle durch die Namen von DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 43 Millionenstädten bezeichnen, in denen die Macht und der Geist dieser Macht gesammelt ist. Ihnen gegenüber sind ganze Länder und Völker nichts als „Provinz". 1 Da ist vor allem „Moskau", geheimnisvoll und für abendländisches Denken und Fühlen völlig unberechenbar, der entscheidende Fak- tor für Europa seit 1812, als es staatlich noch zu diesem gehörte, seit 1917 für die ganze Welt. Der Sieg der Bolschewisten bedeutet geschichtlich etwas ganz anderes als sozialpolitisch oder wirtschafts- theoretisch. Asien erobert Rußland zurück, nachdem „Europa" es durch Peter den Großen annektiert hatte. Der Begriff Europa wieder aus dem praktischen Denken der Po- es tun, wenn wir Politikei Dies „Asien" aber ist eine Idee, und zwar eine Idee, hat. Rasse, Sprache, Volkstum, Religion in den heutigen Formen sind daneben gleichgültig. Das alles kann und wird sich grund- nicht zu bestimmende, ihrer selbst unbewußte neue Art von Leben, mit dem eine große Landschaft schwanger ist und das sich auf dem Wege zur Geburt befindet. Die Zukunft definieren, festlegen, in ein Programm bringen wollen heißt das Leben mit einer Phrase darüber verwechseln, wie es der herrschende Bolschewismus tut, der sich seiner westeuropäischen, rationalistischen und großstädti- schen Herkunft nicht hinreichend bewußt ist. Die Bevölkerung dieses gewaltigsten Binnenlandes der Erde ist von außen unangreifbar. Die Weite ist eine Macht, politisch und mili- tärisch, die noch nie überwunden worden ist; das hat schon Na- poleon erfahren. Was sollte es einem Feinde nützen, wenn er noch so große Gebiete besetzt? Um auch den Versuch dazu wirkungslos zu machen, haben die Bolschewisten den stems immer weiter nach Osten verlegt. Die machtj tigen Industriegebiete sind sämtlich östlich von Moskau, zum großen Teil östlich vom Ural bis zum Altai hin, und südlich bis zum Kaukasus aufgebaut worden. Das ganze Gebiet westlich Moskaus, Weißrußland, die Ukraine, einst von Riga bis Odessa das lebens- wichtigste des Zarenreiches, bildet heute ein phantastisches Glacis gegen „Europa* 44 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE System zusammenbricht. Aber damit ist jeder Gedanke an eine leeren Raum Dies Bolschewistenregiment ist kein Staat in unserem Sinne, wie es das petrinische Rußland gewesen war. Es besteht wie Kiptschak, das Reich der „goldenen Horde" in der Mongolenzeit, aus einer herrschenden Horde — kommunistische Partei genannt — mit Häuptlingen und einem allmächtigen Khan und einer etwa hundert- mal so zahlreichen unterworfenen, wehrlosen Masse. Von echtem Marxismus ist da sehr wenig, außer in Namen und Programmen. In Wirklichkeit besteht ein tartarischer Absolutismus, der die Welt jrenzen zu die der Vorsicht, verschmitzt, grausam, mit dem Mord als alltäg- lichem Mittel der Verwaltung, jeden Augenblick vor der Möglich- keit einen Dschingiskhan auftreten zu sehen, der Asien und Europa Der echte Russe ist in seinem Lebensgefühl Nomade geblieben, ganz wie der Nordchinese, der Mandschu und Turkmene. 1 Heimat Rußland. Die Seele dieser unendlichen Landschaft treibt ihn zum Wandern ohne Ziel. Der ,, Wille" fehlt. Das germanische Lebens- gefühl hat ein Ziel, das erobert werden muß, ein fernes Land, ein Problem, einen Gott, eine Macht, Ruhm oder Reichtum. Hier wan- dern Bauernfamilien, Handwerker und Arbeiter von einer Gegend in die andere, von Fabrik zu Fabrik, ohne Not, nur dem inneren Drange folgend. Keine Gewaltmaßnahme der Sowjets hat das hin- dern können, obwohl es das Entstehen eines Stammes gelernter und mit dem Werk verbundener Arbeitskräfte unmöglich macht. Schon ohne fremde Mitarbeit zu schaffen und zu erhalten. Aber ist das kommunistische Programm überhaupt noch ernst ge- meint, als Ideal nämlich, dem Millionen von Menschen geopfert worden sind und um dessen willen Millionen hungern und im Elend leben? Oder ist es nur ein äußerst wirksames Kampfmittel der Verteidi- gung gegen die unterworfene Masse, vor allem die Bauern, und des Angriffs gegen die verhaßte, nichtrussische Welt, 1 Polit. Schriften S. nof. DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 46 werden soll, bevor man sie niederwirft? 1 Sicher ist, daß sich tat- sächlich nicht viel ändern würde, wenn man eines Tages aus Gründen der machtpolitischen Zweckmäßigkeit das kommunistische Prinzip fallen ließe. Die Namen würden anders werden; die Verwaltungszweige der Wirtschaftsorganisation würden Konzerne lie Kommunisten selbst Aktienbesitzer. Im längst vorhanden. außer durch Propaganda. Dazu ist das Sy- stem mit seinen westeuropäisch-rationalistischen Zügen, die noch aus der literarischen Unterwelt von Petersburg stammen, viel zu künstlich. Es würde keine Niederlage überleben, da es nicht einmal einen Sieg überleben würde: Einem siegreichen General gegenüber wäre die Moskauer Bürokratie verloren. Sowjetrußland würde durch scheinlich abgeschlachtet werden. Aber damit wäre nur der Bolsche- wismus marxistischen Stils überwunden, der nationalistisch-asi- atische würde hemmungslos ins Gigantische wachsen. Aber ist die rote Armee überhaupt zuverlässig? Ist sie brauchbar? Wie steht es mit den berufsmäßigen und sittlichen Qualitäten des „Offizier- korps"? Was bei den Paraden in Moskau gezeigt wird, sind nur die Leibgarde der Machthaber. Aus der Provinz hört man immer wieder von unterdrückten Verschwörungen. Und sind die Eisenbahnen, Flug- haupt gewachsen? Sicher ist, daß das russische Verhalten in der Mandschurei und die Nichtangriffspakte im Westen den Entschluß verraten, einer militärischen Probe unter allen Umständen aus dem Wege zu gehen. Die anderen Mittel, die wirtschaftliche Vernich- tung der Gegner durch den Handel und vor allem die Revolution, nicht als ideales Ziel, sondern als Waffe gedacht, wie sie 191 8 Prankreich gegen Deutschland unget - ki schrieb 1878: „Alle Menschen müssen russisch werden, als erstes und vor 1 russisch werden. Ist die Allmenschheit die russische Nationalidee, so muß 46 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE Demgegenüber hat Japan eine sehr starke Stellung. Zur See ist es fast unangreifbar wegen der Inselketten, deren schmale Durch- gänge mit Minenfeldern, Unterseebooten und Flugzeugen sicher ge- sperrt werden können, so daß das Chinesische Meer für keine fremde Flotte erreichbar ist. Darüber hinaus hat sich Japan in der Mandschurei ein Festlandgebiet von gewaltiger wirtschaftlicher Zu- kunft gesichert — die Sojabohne hat heute schon die Rentabilität der Kokos- und öipalme in der Südsee und in Westafrika zerstört — , dessen Menschenzahl ungeheuer wächst 1 und dessen endgültige Grenzen heute noch ganz unbestimmt sind. Der geringste Versuch der Bolschewisten, militärisch gegen diese Machtverschiebung ein- zuschreiten, würde zur Fortnahme von Wladiwostok, der östlichen Mongolei und wahrscheinlich Pekings führen. Die einzige prak- tische Gegenwirkung ist die rote Revolution in China, aber sie ist seit der Gründung der Kuomintang immer wieder an „kapitalisti- schen" Angriffen gescheitert, nän räle und ganzer Armeen von irgendeiner Völker 2 wie die Inder und Chinesen können nie wieder eine selb- ständige Rolle in der Welt der großen Mächte spielen. Sie können die Herren wechseln, den einen vertreiben — etwa die Engländer aus Indien — , um dem nächsten zu erliegen, aber sie werden nie mehr eine eigene innere Form des politischen Daseins hervorbrin- gen. Dazu sind sie zu alt, zu starr, zu verbraucht. Auch die Form ihrer heutigen Auflehnung samt deren Zielen — Freiheit, Gleich- heit, Parlament, Republik, Kommunismus und dergleichen — sind ohne Ausnahme von Westeuropa und Moskau importiert. Sie sind Objekte und Kampfmittel für fremde Mächte, ihre Länder Schlacht- felder für fremde Entscheidungen, aber gerade dadurch können sie eine gewaltige, wenn auch vorübergehende Bedeutung erlangen. Ohne Zweifel haben Rußland und Japan den Blick auf die ruhenden Möglichkeiten gerichtet und arbeiten im stillen mit Mit- teln, die der „Weiße" weder kennt noch sieht. Aber steht Japan st wie zur Zeit des 1 Sie hat sich in i5 Jahren • biicklich über 3o Millionen. DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 47 Samurai, die mit zum besten gehört, was die ganze Welt an „Rasse" besitzt. Aber heute hört man von radikalen Parteien, Streiks, bolschewistischer Propaganda und ermordeten Ministem. Ist dieser prachtvolle Staat schon über den Gipfel seines Daseins hinaus, vergiftet von den demokratisch-marxistischen Verfalls- formen der weißen Völker, jetzt wo der Kampf um den Stillen Ozean eben in die entscheidende Phase tritt? Sollte es seine alte Offensivkraft noch besitzen, dann ist es in Verbindung mit der un- vergleichlichen strategischen Lage zur See jeder feindlichen Kombi- nation gewachsen. Aber wer kommt hier als Gegner ernsthaft in Betracht? Rußland sicherlich nicht, und ebensowenig irgendeine westeuropäische Macht. Nirgends kann man das Herabsinken all dieser Staaten von ihrem einstigen politischen Rang so deutlich empfinden wie hier. Vor kaum zwanzig Jahren waren Port Arthur, Weihaiwei und Kiautschou besetzt und die Aufteilung Chinas in Interessenssphären westlicher Mächte im Gang. Das pazifische Pro- blem war einmal ein europäisches. Jetzt wagt nicht einmal Eng- land mehr, den seit Jahrzehnten geplanten Ausbau von Singapur durchzuführen. Es hatte der mächtige Stützpunkt der englischen Flotte bei ostasiatischen Verwicklungen sein sollen, aber läßt es sich gegen Japan und Frankreich halten, wenn dieses den Landweg über Hinterindien freigibt? Verzichtet England aber auf seine alte Stellung in diesen Meeren und gibt damit Australien dem japani- schen Druck preis, so wird dieses mit Sicherheit aus dem Empire ausscheiden und sich Amerika anschließen. Amerika ist der ein- zige ernsthafte Gegner, aber wie stark ist er an dieser Stelle zur See, trotz des Panamakanals? San Franzisko und Hawaii liegen viel zu weit entfernt, um Flottenstützpunkte gegen Japan zu sein, die Philippinen sind kaum zu halten und Japan besitzt im lateinischen rk, 9 Sind die Vereinigten Staaten eine Macht, die Zukunft hat? Flüchtige Beobachter redeten vor 191 4 von unbegrenzten Möglichkeiten, nach- iie neue 48 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE „Gesellschaft" Westeuropas nach 191 8, aus Snob und Mob ge- mischt, schwärmt vom jungen, starken, uns weit überlegenen und schlechtweg vorbildlichen Amerikanertum, aber sie verwechseln Re- korde und Dollars mit der seelischen Kraft und Tiefe des Volks- tums, die dazugehören, wenn man eine Macht von Dauer sein will, mit Geist. Was ist der „hundertprozentige" Amerikanismus? Ein nach dem unteren Durchschnitt genormtes Massedasein, eine pri- mitive Pose oder ein Versprechen der Zukunft? Sicher ist, daß es hier bisher weder ein wirkliches Volk noch einen wirklichen Staat gibt. Können sich beide durch ein hartes Schicksal aus, dessen seelische Vergangenheit anderswo lag und abgestorben ist? Der Amerikaner redet wie der Engländer nicht von Staat oder Vaterland, sondern von this country. In der Tat handelt es sich um ein unermeßliches Gebiet und um eine von Stadt zu Stadt schwei- fende Bevölkerung von Trappern, die in ihm auf die Dollarjagd gehen, rücksichtslos und ungebunden, denn das Gesetz ist nur für Die Ähnlichkeit mit dem bolschewistischen Rußland ist viel größer als man denkt: Dieselbe Weite der Landschaft, die jeden erfolg- reichen Angriff eines Gegners und damit das Erlebnis wirklicher nationaler Gefahr ausschließt und so den Staat entbehrlich macht, infolge davon aber auch ein echt politisches Denken nicht entstehen läßt. Das Leben ist ausschließlich wirtschaftlich gestaltet und ent- behrt deshalb der Tiefe, um so mehr als ihm das Element der echten geschichtlichen Tragik, das große Schicksal fehlt, das die Seele der abendländischen Völker durch Jahrhunderte vertieft und erzogen hat. Die Religion, ursprünglich ein strenger Puritanismus, ist eine Art von pflichtgemäßer Unterhaltung geworden und der Krieg war ein neuer Sport. Und dieselbe Diktatur der öffentlichen Meinung hier und dort, sie nun lieh vors sich auf alles erstreckt, was im Abendland dem Willen des einzelnen freigestellt ist, Flirt und Kirchgang, Schuhe und Schminke, Mode- tänze und Moderomane, das Denken, Essen und Vergnügen. Alles alle gleich. Es gibt einen nach Körper, Kleidung und Seele Typus des Amerikaners und vor allem der Amerikane- DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE riii, und wer sich dagegen auflehnt, wer das öffentlich zu kritisieren wagt, verfällt der allgemeinen Ächtung, in Newyork wie in Moskau. Und endlich findet sich eine fast russische Form des Staats- sozialismus oder Staatskapitalismus, dargestellt durch die Masse der Trusts, die den russischen Wirtschaftsverwaltungen entsprechend leiten. Sie sind die eigentlichen Herren des Landes, hier wie dort. Es ist der faustische Wille zur Macht, aber aus dem organisch Ge- lismus, der ganz Amerika bis nach Santiago und Buenos Aires hin durchdringt und überall die westeuropäische, vor allem die englische Wirtschaft zu untergraben und auszuschalten sucht, gleicht mit seiner Einordnung der politischen Macht in wirtschaftliche Tendenzen genau dem bolschewistischen, und dessen Losung: Asien den Asiaten" entspricht im wesentlichen durchaus der heutigen Auf- fassung der Monroedoktrin für Lateinamerika: Ganz Amerika für die Wirtschaftsmacht der Vereinigten Staaten. Das ist der letzte Sinn der Gründung „unabhängiger" Republiken wie Kuba und Panama, des Eingreifens in Nikaragua und des Sturzes unbe- quemer Präsidenten durch die Macht des Dollars bis nach dem äußersten Süden hin. Aber diese Staat- und gesetzlose „Freiheit" des rein wirtschaftlich gerichteten Lebens hat eine Kehrseite. Es ist aus ihm heraus eine Seemacht entstanden, die stärker zu werden beginnt als die Eng- lands, und die zwei Ozeane beherrscht. Es sind Kolonialbesitzungen entstanden: die Philippinen, Hawaii, westindische Inseln. Und man ist von geschäftlichen Interessen und durch die englische Propa-* ganda immer tiefer in den ersten Weltkrieg bis zur militärischen Beteiligung hineingezogen worden. Damit aber sind die Vereinigten Staaten ein führendes Element der Weltpolitik geworden, ob sie es wissen und wollen oder nicht, und sie müssen nun nach innen und außen staatspolitisch denken und handeln lernen oder in ihrer heu- tigen Gestalt verschwinden. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Ist der störbare Art des Lebens dar oder ist er nur eine Mode der leib- lichen, geistigen und seelischen Kleidung? Aber wieviel Ein- DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE Typus innerlich überhaupt nicht an? Von den Negern ganz ab- gesehen sind in den zwanzig Jahren vor dem Kriege nur noch wenige Deutsche, Engländer und Skandinavier eingewandert, aber i5 Millionen Polen, Russen, Tschechen, Balkanslaven, Ostjuden, Griechen, Vorderasiaten, Spanier und Italiener. Sie sind zum großen Teil nicht mehr im Amerikanertum aufgegangen und bilden ein fremdartiges, andersdenkendes und sehr fruchtbares Proletariat mit dem geistigen Schwerpunkt in Chikago. Sie wollen ebenfalls den gesetzlos freien Wirtschaftskampf, aber sie fassen ihn anders auf. Gewiß, es gibt keine kommunistische Partei. Die hat es als Organisation für Wahlzwecke auch im Zarenreich nicht gegeben. Aber es gibt hier wie dort eine mächtige Unterwelt fast Dostojewskischer Prägung mit eigenen Machtzielen, Zersetzungs- und Geschäftsmethoden, die infolge der üblichen Korruption der Verwaltungs-und Sicherheitsorgane, vor allem durch den Alkoholschmuggel, der die politische und soziale habende Schichten der Gesellschaft hinaufreicht. Sie schließt das Berufsverbrechertum ebenso ein wie die geheimen Gesellschaften von der Art des Ku-Klux-Klan. Sie umfaßt Neger und Chinesen so gut wie die entwurzelten Elemente aller europäischen Stämme und sie besitzt sehr wirksame, zum Teil schon alte anisationen nach Art der italienischen Gamorra, der spanischen und der russischen Nihilisten vor und Tschekisten nach 1917. Das Lynchen, die Entführungen und Attentate, Mord, Raub und Brand sind längst erprobte Mittel der politisch-wirtschaft- lichen Propaganda. Ihre Anführer nach Art der Jack Diamond und AlCapone besitzen Villen, Autos und verfügen über Bankguthaben, welche die vieler Trusts und selbst mittlerer Staaten übertreffen. In weiten, dünnbevölkerten Gebieten haben Revolutionen notwendig eine andere Form als in den Hauptstädten Westeuropas. Die latein- amerikanischen Republiken beweisen das unaufhörlich. Hier gibt es keinen starken Staat, der durch den Kampf gegen ein Heer mit alten Traditionen gestürzt werden müßte, aber auch keinen, der die be- stehende Ordnung schon durch die Ehrfurcht vor seinem Dasein verbürgt. Was hier government heißt, kann sich sehr plötzlich in en. Schon vor dem Kriege haben die r durch eigene Befestig DIE WELTKRIEGE UND WELT MÄCHTE 51 rschützen verteidigt. Es gibt im „Lande der Freiheit" nur den Entschluß freier Männer, sich selbst zu helfen — der Revolver in der Hosentasche ist eine amerikanische Erfindung — , aber er steht den Besitzenden ebenso frei wie den andern. Erst kürzlich haben die Farmer in Iowa ein paar Städte belagert und mit Aushungern be- droht, wenn ihnen ihre Produkte nicht zu einem menschenwürdigen Preis abgenommen würden. Vor wenig Jahren hätte man jeden für irrsinnig erklärt, der das Wort Revolution in Beziehung auf dies Land ausgesprochen hätte. Heute sind derartige Gedanken längst an der Tagesordnung. Was werden die Massen von Arbeitslosen tun — ich wiederhole: zum überwiegenden Teil nicht „hundertpro- zentige Amerikaner" — , wenn ihre Hilfsquellen vollständig er- schöpft sind und es keine staatliche Unterstützung gibt, weil es keinen organisierten Staat mit genauer und ehrlicher Statistik und Kontrolle der Bedürftigen gibt? Werden sie sich der Kraft ihrer Fäuste und ihrer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft mit der Unterwelt erinnern? Und wird die geistig primitive, nur an Geld denkende Oberschicht im Kampf mit dieser ungeheuren Gefahr auf einmal schlummernde moralische Kräfte offenbaren, die zum wirk- lichen Aufbau eines Staates führen und zur seelischen Bereitschaft, Gut und Blut für ihn zu opfern, statt wie bisher den Krieg als Mittel zum Geldverdienen aufzufassen? Oder werden die wirtschaftlichen Sonderinteressen einzelner Gebiete doch stärker bleiben und, wie 1861 schon einmal, zum Zerfall des Landes in einzelne Staaten führen — etwa den industriellen Nordosten, die mittleren Westens, die Negerstaaten des Süden seits der Rocky Mountains? Es gibt, wenn man von Japan absieht, das lediglich den Wunsch hat, seine imperialistischen Pläne in Ostasien und nach Australien hin ungestört durchzuführen, nur eine Macht, welche alles tun und jedes Opfer bringen würde, um einen solchen Zerfall zu fördern: England. Es hat das schon einmal getan, bis dicht an eine Kriegs- erklärung heran: 1862 — 64 während des Sezessionskrieges, als für die Südstaaten in britischen Häfen Kriegs- und Kaperschiffe ge- baut oder gekauft wurden, die in europäischen Gewässern ausge- rüstet und bemannt — die „Alabama" sogar mit britischen Seesoidaten — , die Handelsschiffe der Nordstaaten überall ver- DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE brannten und versenkten, wo sie sie auch trafen. Damals war Eng- land noch unbestrittene Herrin der Meere. Es war der einzige Grund, „Freiheit der Meere" war die englische Freiheit des Handelns, nichts anderes. Das ist seit 1918 zu Ende. England, im 19. Jahr- hundert das Kontor der Welt, ist heute nicht mehr reich genug, um im Tempo des Flottenbaues die Spitze zu halten, und seine Macht reicht nicht mehr aus, um andere mit Gewalt an der Überflüge- lung zu hindern. Das Vorgefühl dieser historischen Grenze war einer der Gründe für den Krieg gegen Deutschland, und der No- vember 191 8 wahrscheinlich die letzte allzu kurze Zeit, in der sich diese Macht von gestern die Illusion eines großen Sieges gönnen durfte. Aber abgesehen von der wachsenden Ünterlegenheit im Bau von Schlachtschiffen hat sich, wie eben gezeigt wurde, der Begriff der Seebeherrschung grundlegend verändert. Neben den Unterseebooten Hinterland wichtiger als Küste und Häfen. Gegenüber französischen Bombengeschwadern hat England aufgehört, strategisch eine Insel England in die Vergangenheit. Aber auch die englische Nation ist der Seele und Rasse nach nicht mehr stark, nicht mehr jung und gesund genug, um diese furchtbare Krise mit Zuversicht durchzukämpfen. England ist müde geworden. Es hat noch im 19. Jahrhundert zuviel wertvolles Blut für seine Be- sitzungen hingegeben, durch Auswanderung an die weißen Dominions, durch klimatische Verheerungen in den farbigen Kolonien. Und vor allem fehlt ihm die rassemäßige Grundlage eines starken Bauerntums. Dieseitder NormannenzeitherrschendeOberschicht aus Germanen und Kelten — es gibt keinen Unterschied dazwischen — ist aufgebraucht. Überall dringt die massenhafte Urbevölkerung, die man fälschlich Kelten nennt, 1 mit ihrem andersgearteten, „französischen" Le- 1 Es ist dieselbe Rasse, welcher der französische Bauer und Bourgeois und die Mehrheit der Spanier angehören, nachdem auch dort das nordische Element im Kriege und durch Auswanderung verbraucht worden ist. Die echt keltischen Stämme sind erst in der Mitte DIE W ELT K RIEGE UND WELTMÄCHTE bensgefühl in die herrschende Stellung ein und hat z. B. schon die alte, oligarchische Form der vornehmen parlamentarischen Regierung in die kontinentale und anarchische Art schmutziger Parteikämpfe umgewandelt. Galsworth y hat diese Tragik des Er- löschens mit tiefem schmerzlichen Verstehen in seiner Forsyte Saga geschildert. Damit siegt wirtschaftlich das Rentnerideal über den kapitalistischen Imperialismus. Man besitzt noch erhebliche Reste des einstigen Reichtums, aber der Antrieb fehlt, neuen zu erkämp- fen. Industrie und Handel veralten langsam in ihren Methoden, ohne daß die schöpferische Energie da wäre, nach amerikanischem und deutschem Vorbild neue Formen zu schaffen. Die Unterneh- mungslust stirbt ab, und die junge Generation zeigt geistig, sittlich und in ihrer Weltanschauung einen Absturz von der Höhe, zu der die Qualität der englischen Gesellschaft im vorigen Jahrhundert hinaufgezüchtet war, der erschreckend und in der ganzen Welt ohne Beispiel ist. Der alte Appell: England expects everyman to do his duly, den vor dem Kriege jeder junge Engländer aus guter Familie in Eton und Oxford an sich persönlich gerichtet fühlte, hallt heute in den Wind. Man beschäftigt sich spielerisch mit bolsche- und Inhalt des Lebens. Es sind die Leute der älteren Generation, die schon als Männer in hohen Stellungen tätig waren, als der Krieg nd Verzweiflung fragen, wer denn das Ideal des Greater Britain nach ihnen verteidigen soll. Bernhard Shaw hat im „Kaiser von Amerika" angedeutet, daß „einige" lieber den hoffnungslosen Kampf gegen Amerikas Übermacht durchfech- ten als die Waffen strecken würden, aber wie viele werden das in zehn, in zwanzig Jahren sein? Im Westm inster Statut von io,3i hat England die weißen Dominions als Commonwealth of nations sich verband sich mit diesen Staaten auf Grund gleicher Interessen, vor allem des Schutzes durch die englische Flotte. Aber morgen schon können Kanada und Australien sich ohne Sentimentalität den Ver- einigten Staaten zuwenden, wenn sie dort ihre Interessen, etwa als weiße Nationen gegen das gelbe Japan, besser gewahrt sehen. Jen- seits von Singapur ist die einstige Stellung Englands schon aufge- 54 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE Ägypten und im Mittelmeer keinen eigentlichen Sinn mehr. Die englische Diplomatie alten Stils versucht vergebens, den Kontinent wie einst für englische Zwecke gegen Amerika — als Schuldner- front — und gegen Rußland — als Front gegen den Bolschewismus zu machen. Aber das ist bereits Diplomatie von vor- Sie hat io,i4 ihren letzten verhängnisvollen Erfolg ge- habt. Und wie, wenn sich beim letzten Aufbäumen englischen tra- ditionsgesättigten Stolzes Rußland und Amerika verständigen? Das liegt nicht außerhalb aller Möglichkeiten. Gegenüber solchen Erscheinungen, in denen sich das Schicksal der Welt vielleicht für Jahrhunderte dunkel und drohend zusammen- ballt, haben die romanischen Länder nur noch provinziale Bedeu- tung. Auch Frankreich, dessen Hauptstadt im Begriff ist, eine histo- rische Sehenswürdigkeit zu werden wie Wien und Florenz, und Athen in der Römerzeit. Solange der alte Adel keltischen und germanischen bis zu den Kreuzzügen zurückreichten, die große Politik in Händen hatte, etwa bis auf Ludwig XIV., gab es große Ziele wie die Kreuz- züge selbst und die Kolonialgründungen des 17. Jahrhunderts. Das französische Volk aber hat von jeher immer nur mächtig ge- wordene Nachbarn gehaßt, weil deren Erfolge seine Eitelkeit ver- letzten, die Spanier, die Engländer, vor allem die Deutschen — im habsburgischen wie im Hohcnzollernstaat gegen die der uralte Haß seit der mißglückten „Rache für Sadowa" ins Irrsinnige wuchs. Es hat niemals in die Fernen des Raumes und der Zeit zu sein Streben nach gloire immer nur durch die Einverleibung oder Verwüstung von Landstrichen an der Grenze befriedigt. Welcher echte Franzose begeistert sich im Grunde für den riesigen Besitz in Westafrika mit Ausnahme von hohen Militärs und Pariser Geld- leuten? Oder gar für Hinterindien? Und was geht sie selbst Elsaß- Lothringen an, nachdem sie es „zurückerobert" haben? Mit dieser Tatsache hat es jeden Reiz für sie verloren. Die französische Nation sondert sich immer deutlicher in zwei seelisch grundverschiedene Bestandteile. Der eine weitaus zahl- Element, der Prc der Bauer und DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 55 wollen nichts als die Ruhe eines in Schmutz, Geiz und Stumpfheit müde und unfruchtbar gewordenen Volkstums, ein wenig Geld, Wein und „amour", und wollen nichts mehr von großer Politik, von wirtschaftlichem Ehrgeiz, vom Kampf um bedeutende Lebens- ziele hören. Darüber aber liegt die langsam kleiner werdende jako- binische Schicht, die seit 1792 das Schicksal des Landes bestimmt und den Nationalismus französischer Prägung nach einer alten Lust- spielfigur von i83i auf den Namen Chauvin getauft hat. Sie setzt sich zusammen aus Offizieren, Industriellen, den höheren Beamten der von Napoleon streng zentralisierten Verwaltung, den Journalisten der Pariser Presse, den Abgeordneten ohne Unterschied der Parteien und ihrer Programme — Abgeordneter sein bedeutet in Paris ein Privat-, kein Parteigeschäft — und einigen mächtigen Organisationen wie der Loge und den Frontkämpferverbänden. Im stillen geleitet und ausgenützt wird sie seit einem Jahrhundert von der internatio- nalen Pariser Hochfinanz, welche die Presse und die Wahlen be- zahlt. Chauvinismus ist längst in weitem Umfange ein Geschäft. Die .Herrschaf t dieser Oberschicht beruht heute auf der namenlosen aber echten Angst der Provinz vor irgendwelchen außenpolitischen Gefahren und vor neuer Entwertung der Ersparnisse, einer Angst, die durch die Pariser Presse und die geschickte Art, Wahlen zu machen, aufrechterhalten wird. Aber diese Stimmung ist noch auf Jahre hinaus eine Gefahr für alle Nachbarländer, England und Italien so gut wie Deutschland. Sie hat sich vor 191 4 von England und Rußland für deren Ziele gebrauchen lassen und würde heute noch einem geschickten Staatsmann eines fremden Landes als In- strument zur Verfügung stehen. Die Gestalt Chauvins wächst lang- sam zum Gegenteil des spanischen Don Quichote empor und erregt heute schon in ihrer grandiosen Komik das Lächeln der halben Welt: Der greisenhaft gewordene Draufgänger, der nach vielen Freunde von gestern zu Hilfe rufend in seinem zur Festung umge- bauten Hause zitternd aus dem Fenster blickt und beim Anblick jedes kaum bewaffneten Nachbarn außer sich gerät. Das ist das Ende der grande nation. Ihr Erbe im Gebiet des Mittelmeers und der Welt hinter sich, 66 DIE WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE Nordafrikas wird vielleicht die Schöpfung Mussolinis sein, wenn sie sich unter seiner Leitung lange genug bewährt, um die nötige see- Von keiner dieser Mächte kann man heute sagen, ob sie um die Mitte des Jahrhunderts in ihrer heutigen Gestalt noch vorhanden ist. Eng- land kann auf seine Insel beschränkt, Amerika zerfallen sein ; Japan und Frankreich, die heute allein wissen, was ein starkes Heer wert ist, können in die Hände kommunistischer Gewalthaber gefallen nicht einmal vermuten. Aber beherrscht wird die augenblickliche Lage von dem Gegensatz zwischen England und Rußland im Osten und zwischen England und Amerika im Westen. In beiden Fällen geht England wirtschaftlich, diplomatisch, militärisch und moralisch zurück und die schon verlorenen Positionen sind zum Teil überhaupt nicht, auch nicht durch einen Krieg wieder zu Kapitulation? Oder steht dem Unterliegenden nicht einmal diese Wahl mehr frei? Die meisten Angelsachsen auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans glauben sich durch Blut und Tradition fester len, als daß sie hier vor eine Entscheidung gestellt werden 1. Aber der Glaube, daß Blut dicker sei als Wasser, hat für England und Deutschland seine Probe schlecht bestanden. Der Bruderhaß ist unter Menschen immer stärker gewesen als der Haß gegen Fremde, und gerade er kann aus kleinen Anlässen plötzlich zu einer Leidenschaft wachsen, die kein Zurück mehr gestattet. So sieht die Welt aus, von der Deutschland umgeben ist. In dieser Lage ist für eine Nation ohne Führer und Waffen, ver- armt und zerrissen, nicht einmal das nackte Dasein gesichert. Wir haben Millionen in Rußland abschlachten und in China ver- hungern sehen und es war für die übrige Welt nur eine Zeitungs- nachricht, die man am Tage darauf vergaß. Kein Mensch wi draußen in seiner Ruhe gestört werden, wenn Schlimmeres ir in Westeuropa geschähe. Man erschrickt nur vor Drohungen; mit vollendeten Tatsachen findet der Mensch sich schnell ab. Ob ein- zelne oder Völker sterben, sie hinterlassen keine Lücke. Ange- sichts dieser Lage haben wir Deutschen bisher nichts aufgebracht als den Lärm um Parteiideale und das gemeine Gezänk um die Vor- DIB WELTKRIEGE UND WELTMÄCHTE 57 teile von Berufsgruppen und Länderwinkeln. Aber der Verzicht auf Weltpolitik schützt nicht vor ihren Folgen. In denselben Jahren, als Kolumbus Amerika entdeckte und Vasco da Gama den Seeweg nach Ostindien fand, als die westeuropäische Welt ihre Macht und ihren Reichtum über den Erdball zu erstrecken begann, wurde auf Antrag der englischen Kaufmannschaft der Stahlhof in London geschlossen, das letzte Zeichen einstiger hanseatischer Großmacht, und damit verschwanden deutsche Kauffahrer von den Ozeanen, weil es keine deutsche Flagge gab, die von ihren Masten wehen konnte. Damit war Deutschland ein Land geworden, zu arm für eine große Politik. Es mußte seine Kriege mit fremdem Geld und im Dienste dieses Geldes führen und führte sie um elende Fetzen eigenen Landes, die von einem Zwergstaat dem andern fort- genommen wurden. Die großen Entscheidungen in der Ferne wurden weder beachtet noch begriffen. Unter Politik verstand man etwas so Erbärmliches und Kleines, daß sich nur Menschen von sehr kleinem Charakter damit beschäftigen mochten. Soll das wieder- kommen, jetzt in den entscheidenden Jahrzehnten? Sollen wir als Träumer, Schwärmer und Zänker von den Ereignissen verschlun- gen werden und nichts hinterlassen, was unsere Geschichte in einiger Größe vollendet? Das Würfelspiel um die Weltherrschaft hat erst begonnen. Es wird zwischen starken Menschen zu Ende gespielt werden. Sollten nicht auch Deutsche darunter sein? DIE WEISSE WELTREVOLUTION eitaltcr der Weltkriege aus, in dessen Anfängen wir uns Aber dahinter erscheint das zweite Element der unge- heuren Umwälzung, die Weltrevolution. Was will sie? Worin be- steht sie? Was hat das Wort im tiefsten Grunde zu bedeuten? Man versteht seinen vollen Inhalt heute so wenig wie den geschichtlichen Sinn des ersten Weltkrieges, der eben hinter uns liegt. Es handelt sich nicht um die Bedrohung der Weltwirtschaft durch den Bolsche- wismus von Moskau, wie es die einen, und nicht um die „Befreiung" der Arbeiterklasse, wie es die andern meinen. Das sind nur Fragen der Oberfläche. Vor allem: diese Revolution droht nicht erst, son- dern wir stehen mitten darin, und nicht erst seit gestern sondern seit mehr als einem Jahrhundert. Sie durchkreuzt den „u zontalen" Kampf zwischen den Staaten und Nationen durch den verti- kalen zwischen den führenden Schichten der weißen Völ- ker und den andern, und im Hintergrund hat schon der weit ge- fährlichere zweite Teil dieser Revolution begonnen: der Angriff auf die Weißen überhaupt von seiten der gesamten Masse der farbigen Erdbevölkerung, die sich ihrer Gemeinschaft langsam bewußt wird. Dieser Kampf herrscht nicht nur zwischen den Schichten von Men- schen, sondern darüber hinaus zwischen den Schichten des Seelen- lebens bis in den einzelnen Menschen hinein. Fast jeder von uns hat diesen Zwiespalt des Fühlens und Meinens in sich, obwohl er das gar nicht weiß. Deshalb kommen so wenige zu der klaren Einsicht, auf welcher Seite sie wirklich stehen. Aber gerade das zeigt die innere Notwendigkeit dieser Entscheidung, die weit über das persönliche Wünschen und Wirken hinausgeht. Mit den Schlagworten, welche Kommunismus, Klassenkampf, Kapitalismus und Sozialismus, mit denen jeder die Frage genau umschrieben glaubt, weil er nicht len ver DIE WEISSE WELTREVOLUTION auf der gleichen Stufe zu so wenig wir im wissen. 1 Aber von der Antike wissen wir genug. Der Höhepunkt der revo- lutionären Bewegung liegt in der Zeit von Tib. und G. Gracchus bis auf Sulla, aber der Kampf gegen die führende Schicht und deren gesamte Tradition begann schon ein volles Jahrhundert früher durch C. Flaminius, dessen Ackergesetz von 23a Polybius (II, 21) mit Recht als den Anfang der Demoralisation der Volksmasse bezeichnet hat. Diese Entwicklung wurde nur vorübergehend durch den Krieg gegen Hannibai unterbrochen und abgelenkt, gegen dessen Ende be- reits Sklaven in das „Bürgerheer" eingestellt worden sind. Seit der Ermordung der beiden Gracchen — und ihres großen Gegners, des Mächte altrömischer Tradition schnell dahin. Marius, aus dem nie- deren Volk und nicht einmal aus Rom stammend, stellte das erste Heer auf, das nicht mehr auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht, sondern aus besoldeten, ihm persönlich anhängenden Freiwilligen gebildet war, und griff mit ihm rücksichtslos und blutig in die inne- ren Verhältnisse Roms ein. Die alten Geschlechter, in denen seit Jahrhunderten staatsmännische Begabung und sittliches Pflicht- bewußtsein herangezüchtet worden waren und denen Rom seine Stel- lung als Weltmacht verdankte, wurden zum guten Teil ausgerottet. Der Römer Sertorius versuchte mit den barbarischen Stämmen Spa- niens dort einen Gegenstaat zu gründen, und Spartakus rief die Sklaven Italiens zur Vernichtung des Römertums auf. Der Krieg gegen Jugurtha und die Verschwörung Gatilinas zeigten den Ver- fall der herrschenden Schichten selbst, deren entwurzelte Elemente jeden Augenblick bereit waren, den Landesfeind und den Pöbel des Forums für ihre schmutzigen Geldinteressen zu Hilfe zu rufen. Sallust hatte vollkommen recht: Am baren Gclde, nach dem der Pöbel und die reichen Spekulanten gleich gierig waren, sind die Ehre und Größe Roms, seine Rasse, seine Idee zugrunde gegangen. Aber diese großstädtische, von allen Seiten her zusammengelaufene Masse wurde — wie heute — nicht von innen heraus mobilisiert und or- um Druck der 1 Unt. d. Abendl. Schic , S. 522 ff., 56off. 60 DIE WEISSE WELT REVOLUTION für die Zwecke von Geschäftspolitikern und Berufsrevolutionären. Aus diesen Kreisen hat sich die „Diktatur von unten" als die not- wendige letzte Folge der radikalen demokratischen Anarchie ent- wickelt, damals wie heute. Polybius, der staatsmännische Erfahrung und einen scharfen Blick für den Gang der Ereignisse besaß, sah das schon dreißig Jahre vor C. Gracchus mit Sicherheit voraus : „Wenn sie hinter hohen Staatsämtern her sind und sie nicht auf Grund persönlicher Vorzüge und Fähigkeiten erhalten können, dann ver- schwenden sie Geld, indem sie die Masse auf jede Art ködern und verführen. Die Folge ist, daß das Volk durch dies politische Streber- ehmen gewöhnt und begehrlich nach Geld ohne geht die Demokratie zu Ende, und es tritt die Gewalt und das Recht der Fäuste an ihre Stelle. Denn sobald die Menge, die von fremdem Eigentum zu leben und die Hoffnung für ihren Unterhalt auf den Besitz anderer zu gründen sich gewöhnt hat, einen ehrgeizigen und entschlossenen Führer findet, geht sie zur An- wendung der Macht ihrer Fäuste über. Und jetzt, sich zusammen- rottend, wütet sie mit Mord und Vertreibung und eignet sich den Be- s sie völlig verwildert in die Gewalt eines un- i Diktators gerät." 1 „Die eigentliche Katastrophe wird die Schuld der Masse herbeigeführt werden, wenn sie r einen sich geschädigt glaubt, während der »eiz der andern, ihrer Eitelkeit schmeichelnd, sie zur Selbst- überschätzung verführt. In der Wut wird sie sich erheben, wird bei allen Verhandlungen nur der Leidenschaf t Gehör geben, wird denen, welche den Staat leiten, keinen Gehorsam mehr leisten, ja ihnen nicht einmal Gleichberechtigung zugestehen, sondern in allem das Recht der Entscheidung für sich fordern. Wenn es dahin kommt, wird der Staat sich mit den schönsten Namen schmücken, denen der Freiheit und Regierung des Volkes durch sich selbst, aber in Wirk- wird er die schlimmste Form erhalten haben, die Ochlo- Diese Diktatur droht heute den weißen Völkern nicht etwa, sondern wir befinden uns unter ihrer vollen Herrschaft, und zwar so tief und [ gar nicht mehr bemerken. Die „Dikta- tur des Proletariats" i VI, 9. * VI, 5 7 . DIE WEISSE WELTREVOLUTION und der Parteifunktionäre aller Richtungen, ist eine vollzogene Tat- sache, ob die Regierungen nun von ihnen gebildet oder infolge der Angst des „Bürgertums' 'von ihnen beherrscht werden. Das hatte Marius gewollt, aber er scheiterte an seinem völligen Mangel staatsmänni- scher Begabung. Davon besaß sein Neffe Cäsar um so mehr, und er hat die furchtbare Revolutionszeit durch seine Form der „Diktatur beendet, die an die Stelle der parteimäßigen Anarchie die unumschränkte Autorität einer überlegenen Persönlichkeit setzte, eine Form, der er für immer den Namen gegeben hat. Seine Ermordung und deren Folgen konnten nichts mehr daran ändern. Von ihm an gehen die Kämpfe nicht mehr um Geld oder Befriedi- gung des sozialen Hasses, sondern nur noch um den Besitz der ab- Mit dem Kampf zwischen „Kapitalismus" und „Sozialismus" hat das gar nichts zu tun. Im Gegenteil : die Klasse der großen Finanzleute und Spekulanten, die römischen equites, was seit Mommsen ganz irre- führend mit Ritterschaft übersetzt wird, haben sich mit dem Pöbel und seinen Organisationen, den Wahlklubs (sodalicia) und bewaff- len wie denjenigen des Milo und Clodius, immer sehr gut Sie gaben das Geld her für Wahlen, Aufstände und jen, und C.Gracchus hat ihnen dafür die Provinzen zur unumschränkten Ausbeutung unter staatlicher Deckung preisgegeben, in denen sie namenloses Elend durch Plünderung, Wucher und den Verkauf der Bevölkerung ganzer Städte in die Sklaverei verbrei- teten, und darüber hinaus die Besetzung der Gerichte, in denen sie nun über ihre eigenen Verbrechen urteilen und sich gegenseitig frei- sprechen konnten. Dafür versprachen sie ihm alles und sie ließen ihn und seine ernstgemeinten Reformen fallen, als sie ihren eigenen Vorteil in Sicherheit gebracht hatten. Dieses Bündnis zwischen Börse und Gewerkschaft besteht heute wie damals. Es liegt in der natür- lichen Entwicklung solcher Zeiten begründet, weil es dem gemein- samen Haß gegen staatliche Autorität und gegen die Führer der pro- duktiven Wirtschaft entspringt, welche der anarchischen Tendenz auf Gelderwerb ohne Anstrengung im Wege stehen. Marius, ein politi- scher Tropf wie viele voi männer Saturninus und Cinna i Unt. d. Abendl.II, S. 566 ff. 62 DIE WEISSE WELT REVOLUTION und Sulla, der Diktator der nationalen Seite, richtete deshalb nach der Erstürmung Roms unter den Finanzleuten ein furchtbares Ge- metzel an, von dem sich diese Klasse nie wieder erholt hat. Seit Casar verschwindet sie als politisches Element vollständig aus der Ge- schichte. Ihr Dasein als politische Macht war mit dem Zeitalter der Diese Revolution von der Dauer mehr als eines Jahrhunderts hat im tiefsten Grunde mit „Wirtschaft" überhaupt nichts zu Sie ist eine lange Zeit der Zersetzung des gesamten Lebens Kultur, die Kultur selbst als lebendiger Leib begriffen. Die Form des Lebens zerfällt und damit die Kraft, ihr durch pferische Werke, deren Gesamtheit die Geschichte der Staaten, Religionen, Künste bildet, nach außen hin Ausdruck zu geben, nachdem sie bis zur äußersten Höhe ihrer Möglichkeiten ge- reift war. Der einzelne Mensch mit seinem privaten Dasein folgt dem Zuge des Ganzen. Sein Tun, Sichverhalten, Wollen, Denken, Erleben bilden mit Notwendigkeit ein wenn auch noch so geringes fragen verwechselt, so ist das schon ein Zeichen des Verfalls, der auch in ihm vor sich geht, ob er das nun fühlt und erkennt oder nicht. Es versteht sich von selbst, daß Wirtschaftsformen in dem- selben Grade Kultur sind wie Staaten, Religionen, Gedanken und Künste. 1 Was man aber meint, sind nicht die Formen des Wirt- wachsen und vergehen, sondern der materielle Ertrag der wirtschaft- Tatigkeit, den man heute mit dem Sinn von Kultur und tweg gle materialistisch und mechanir* 1 Weltkatastrophe betrachtet. Der Schauplatz dieser Revol gleich ur i Unt. d. Abendl. II, S. 586 ff. DIE WEISSE W ELT REVOLÜT ION Kulturen sich zu bilden beginnt. 1 In dieser steinernen und versteinern- den Welt sammelt sich in immer steigendem Maße entwurzeltes Volkstum an, das dem bäuerlichen Lande entzogen wird, „Masse" in erschreckendem Sinne, formloser menschlicher Sand, aus dem man zwar künstliche und deshalb flüchtige Gebilde kneten kann, Par- teien, nach Programmen und Idealen entworfene Organisationen, in dem aber die Kräfte natürlichen, durch die Folge der Generationen mit Tradition gesättigten Wachstums abgestorben sind, vor allem die natürliche Fruchtbarkeit allen Lebens, der Instinkt für die Dauer der Familien und Geschlechter. Der Kinderreichtum, das erste Zeichen einer gesunden Rasse, wird lästig und lächerlich. 2 Es ist das ernsteste Zeichen des „Egoismus" großstädtischer Menschen, selb- ständig gewordener Atome, des Egoismus, der nicht das Gegenteil des heutigen Kollektivismus ist — dazwischen besteht überhaupt kein Unterschied; ein Haufen Atome ist nicht lebendiger als ein kommen, in der schöpferischen Sorge für sie, in der Dauer seines Namens fortzuleben. Dafür schießt die kahle Intelligenz, diese einzige Blüte, das Unkraut des städtischen Pflasters, in unwahrscheinlichen Mengen auf. Das ist nicht mehr die sparsame, tiefe Weisheit alter Bauern geschlechter, die so lange wahr bleibt, als die Geschlechter dauern, zu denen sie gehört, sondern der bloße Geist des Tages, der Tageszeitungen, Tagesliteratur und Volksversammlungen, der Geist ohne Blut, der alles kritisch zernagt, was von echter, also ge- wachsener Kultur noch lebendig aufrecht steht. Denn Kultur ist ein Gewächs. Je vollkommener eine Nation die Kultur repräsentiert, zu deren vornehmsten Schöpfungen immer die Kulturvölker selbst gehören, je entschiedener sie im Stile echter Kultur geprägt und gestaltet ist, desto reicher ist ihr Wuchs ge- gliedert nach Stand und Rang, mit ehrfurchtgebietenden Distanzen vom wurzelhaften Bauerntum bis hinauf in die führenden Schichten der städtischen Gesellschaft. Hier bedeuten Höhe der Form, der Tradition, Zucht und Sitte, angeborene eit der leitenden Geschlechter, Kreise, Persönlichkeiten das Leben, das Schicksal des Ganzen. Eine Gesellschaft in diesem Sinne bleibt von Ver- den Eint 64 DIE WEISSE WELTREVOLUTION sie hat aufgehört zu sein. Vor allem besteht sie aus Rangord- nungen und nicht aus „Wirtschaf tsklassen". Diese englisch- materialistische Ansicht, die sich seit Adam Smith mit und aus dem zunehmenden Rationalismus entwickelt hat und vor fast hun- dert Jahren von Marx in ein flaches und zynisches System gebracht worden ist, wird dadurch nicht richtiger, daß sie sich durchgesetzt hat und in diesem Augenblick das gesamte Denken, Sehen und Wollen der weißen Völker beherrscht. Sie ist ein Zeichen des Ver- falls der Gesellschaft und weiter nichts. Schon vor dem Ende dieses Jahrhunderts wird man sich mit Erstaunen fragen, wie diese Wer- tung gesellschaftlicher Formen und Stufen nach „Arbeitgebern" und „Arbeitnehmern 4 , nach der Menge von Geld also, die der einzelne als Vermögen, Rente oder Lohn hat oder haben will, überhaupt ernst genommen werden konnte, nach der Geldmenge, nicht nach der standesgebundenen Art, wie es erworben und zu echtem Besitz ge- staltet wird. Es ist der Standpunkt von Proleten und Parvenüs, die im tiefsten Grunde derselbe Typus sind, dieselbe Pflanze des groß- städtischen Pflasters, vom Dieb und Agitator der Gasse bis zum Spekulanten der Börse und der Parteipolitik. „Gesellschaft" aber bedeutet Kultur haben, Forin haben bis in den kleinsten Zug der Haltung und des Denkens hinein, Form, die durch eine lange Zucht von ganzen Geschlechtern herangebildet worden ist, strenge Sitte und Lebensauffassung, welche das gesamte Sein mit tausend nie ausgesprochenen und nur selten ins Bewußtsein treten- den Pflichten und Bindungen durchdringt, damit aber alle Menschen, die dazu gehören, zu einer lebendigen Einheit macht, oft weit über die Grenzen einzelner Nationen hinaus wie den Adel der Kreuzzüge und des 1 8. Jahrhunderts. Das bestimmt den Rang : das heißt „Welt haben". Das wird schon unter den germanischen Stämmen beinahe mystisch mit Ehre bezeichnet. Diese Ehre war eine Kraft, welche das ganze Leben der Geschlechter durchdrang. Die persönliche Ehre war nur das Gefühl der unbedingten Verantwortung des einzelnen für die Standesehre, die Berufsehre, die nationale Ehre. Der einzelne lebte das Dasein der Gemeinschaft mit, und das Dasein der andern war zugleich das seine. Was er tat, zog die Verantwortung aller nach sich, und damals starb ein Mensch nicht nur seelisch dahin, wenn er ehrlos geworden, wenn sein oder der Seinen Ehrgefühl durch eigene DIE WEISSE WELTREVOLUTION 65 oder fremde Schuld tödlich verletzt worden war. Alles was man Pflicht nennt, die Voraussetzung jedes echten Rechts, die Grund- substanz jeder vornehmen Sitte, geht auf Ehre zurück. Seine Ehre hat das Bauerntum wie jedes Handwerk, der Kauf mann und der Off izier, der Beamte und die alten Fürstengeschlechter. Wer sie nicht hat, wer „keinen Wert darauf legt", vor sich selbst wie vor seinesgleichen anständig dazustehen, ist „gemein". Das ist der Gegensatz zur Vor- nehmheit im Sinne jeder echten Gesellschaft, nicht die Armut, der Mangel an Geld, wie es der Neid heutiger Menschen meint, nachdem man jeden Instinkt für vornehmes Leben und Empfinden verloren hat und die öffentlichen Manieren aller „Klassen" und „Parteien" gleich pöbelhaft geworden sind. .In die alte vornehme Gesellschaft Westeuropas, die am Ende des 1 8. Jahrhunderts an Höhe des Lebens und Feinheit der Formen etwas erreicht hatte, das nicht mehr übertroffen werden konnte und in man- chen Zügen schon zerbrechlich und krank zu werden begann, wuchs noch in den vierziger Jahren das erfolgreiche englisch-puritanische Bürgertum hinein, das den Ehrgeiz hatte, dem Hochadel in seiner Lebensführung gleich zu werden und wenn möglich mit ihm zu verschmelzen. Darin, in der Einverleibung immer neuer Ströme menschlichen Lebens, zeigt sich die Kraft alter gewachsener Formen. Aus den Plantagenbesitzern im spanischen Süd- und im englischen Nordamerika war längst eine echte Aristokratie nachdem Vorbild spa- nischer Granden und englischer Lords geworden. Die letztere wurde im Bürgerkrieg von 1861 — 65 vernichtet und durch die Parvenüs von Newyork und Ghikago mit dem Protzentum ihrer Milliarden ersetzt. Noch nach 1870 wuchs das neue deutsche Bürgertum in die strenge hinein. Aber das ist die Voraussetzung gesellschaftlichen Daseins: was durch Fähigkeiten und durch innere Kraft in höhere Schichten aufsteigt, muß durch die Strenge der Form und die Unbedingtheit der Sitte erzogen und geadelt werden, um in den Söhnen und Enkeln diese Form nunmehr selbst zu repräsentieren und weiterzugeben. Eine lebendige Gesellschaft erneuert sich unaufhörlich durch wert- volles Blut, das von unten, von außen einströmt. Es beweist die innere Kraft der lebendigen Form, wieviel sie aufnehmen, verfei- 1 kann, ohne unsicher zu werden. Sobald aber < Form des Lebens nicht mehr selbstverständlich ist, sobald sie der Kritik in bezug auf ihre Notwendigkeit auch nur Gehör ver- Notwendigkeit der Gliederung, die jeder Art Mem lieber Tätigkeit ihren Rang im Leben des Ganzen anweist, den Sinn für die notwendige Ungleichheit der Teile also, die mit organischer Gestaltung identisch ist. Man verliert das gute Gewissen des eigenen Rangesund verlernt es, Unterordnung als selbstverständlich entgegen- zunehmen, aber in demselben Grade verlernen es, erst in Folge da- von, die unteren Schichten, diese Unterordnung zu leisten und als notwendig und berechtigt anzuerkennen. Auch hier beginnt, wie jedesmal, die Revolution von oben, um dann Revolten von unten Platz gar nicht daran gedacht hatten sie zu verlangen. Aber die Gesellschaft beruhtauf der Ungleichheit der Menschen. Das ist eine naturhafteTat- schöpferische und unbegabte, ehrenhafte, faule, ehrgeizige und stille Naturen. Jede hat ihren Platz in der Ordnung des Ganzen. Je be- deutender eine Kultur ist, je mehr sie der Gestaltung eines edlen tie- rischen oder pflanzlichen Leibes gleicht, desto größer sind die Unter- schiede der aufbauenden Elemente, die Unterschiede, nicht die Gegensätze, denn diese werden erst verstandesmäßig hinein- getragen. Kein tüchtiger Knecht denkt daran, den Bauern als seines- gleichen zu betrachten, und jeder Vorarbeiter, der etwas leistet, ver- bittet sich den Ton der Gleichheit von Seiten ungelernter Arbeiter. Das ist das natürliche Empfinden menschlicher Verhältnisse. „Gleiche Rechte 4 4 sind wider die Natur, sind die Zeichen der Ent- artung altgewordener Gesellschaften, sind der Beginn ihres unauf- haltsamen Zerfalls. Es ist intellektuelle Dummheit, den durch Jahr- hunderte herangewachsenen und durch Tradition gefestigten Bau der Gesellschaft durch etwas anderes ersetzen zu wollen. Man er- etwas anc nur der Tod. Und so ist es im tiefsten Grunde auch gemeint. Man will nicht verändern und verbessern, sondern zerstören. Aus jeder Gesellschaft sinken bestandig entartete Elemente nach unten, verbrauchte Fa- hochgezüchteter Geschlechter, DIE WEISSE WELTREVOLUTION Mißratene und Minderwertige an Seele und Leib — man sehe sich nur einmal die Gestalten in diesen Versammlungen, Kneipen, Um- zügen und Krawallen an : irgendwie sind sie alle Mißgeburten, Leute, die statt tüchtiger Rasse im Leib nur noch Rechthabereien und Rache für ihr verfehltes Leben im Kopfe haben, und an denen der Mund der wichtigste Körperteil ist. Es ist die Hefe der großen Städte, der eigent- lichePöbel,dieUnterweltin jedem Sinne, die sich überall im bewuß- ten Gegensatz zur großen und vornehmen Welt bildet und im Haß gegen sie vereinigt : politische und literarische Boheme, verkommener Adel wie Catilina und Philipp Egalitc, der Herzog von Orleans, geschei- terte Akademiker, Abenteurer und Spekulanten, Verbrecher und Dir- nen, Tagediebe, Schwachsinnige, untermischt mit ein paar traurigen Schwärmern für irgendwelche abstrakten Ideale. Ein verschwomme- nes Rachegefühl für irgendein Pech, das ihnen das Leben verdarb, die Abwesenheit aller Instinkte für Ehre und Pflicht und ein hem- mungsloser Durst nach Geld ohne Arbeit und Rechten ohne Pf lichten führt sie zusammen. Aus diesem Dunstkreis gehen die Tageshelden aller Pöbelbewegungen und radikalen Parteien hervor. Hier erhält das Wort Freiheit den blutigen Sinn sinkender Zeiten. Die Freiheit von allen Bindungen der Kultur ist gemeint, von jeder Art von Sitte und Form, von allen Menschen, deren Lebenshaltung sie in Armut, schweigende Pflichterfüllung, Entsagung im Dienst einer Aufgabe oder Überzeugung, Größe im Tragen eines Schicksals, Treue, Ehre, Verantwortung, Leistung, alles das ist ein steter Vorwurf für die „Erniedrigten und Beleidigten". Denn, es sei noch einmal gesagt, der Gegensalz von vornehm ist nicht arm, sondern gemein. Das niedrige Denken und Empfinden dieser Unterwelt bedient sich der entwurzelten, in all ihren Instinkten un- sicher gewordenen Masse der großen Städte, um seine eigenen Ziele und Genüsse der Rache und Zerstörung zu erreichen. Deshalb wird dieser ratlosen Menge ein „Klassenbewußtsein" und ...Klassenhaß' 4 durch ununterbrochenes Reden und Schreiben eingeimpft, deshalb werden ihr die führenden Schichten, die „Reichen", die „Mächtigen", in gerader Umkehrung ihrer wirklichen Bedeutung als Verbrecher und Ausbeuter gezeichnet, und endlich bietet man sich ihr als Retter und Führer an. x\lle „Volksrechte", die oben aus krankem Gewissen und haltlosem Denken rationalistisch beschwatzt wurden» werden nun als selbstverständlich von unten, von den „Enterbten" gefordert, nie- ias Volk, denn sie sind immer denen gegeben worden, die ran gedacht hatten sie zu verl anzufangen wußten. Sie sollten da3 auch gar nicht, denn diese Rechte waren nicht für das „Volk" bestimmt, sondern für die Hefe der sich selbst ernennenden „Volksvertreter** , aus der sich nun ein radikaler Parteiklüngel bildet, der den Kampf gegen die gestaltenden Mächte der Kultur als Gewerbe betreibt und die Masse durch das } So entsteht der Nihilismus, der abgründige Haß des Proleten gegen die überlegene Form jeder Art, gegen die Kultur als deren In- Ergebnis. Daß jemand Form hat, sie beherrscht, sich in ihr wohl fühlt, während der gemeine Mensch sie als Fessel empfindet, in der er sich nie frei bewegen wird, daß Takt, Geschmack, Sinn für Tra- dition Dinge sind, die zum Erbgut hoher Kultur gehören und Er- ziehung voraussetzen, daß es Kreise gibt, in denen Pflichtgefühl und Entsagung nicht lächerlich sind, sondern auszeichnen, das erfüllt ihn mit einer dumpfen Wut, die in früheren Zeiten sich in die Winkel verkroch und dort nach Art de3 Thersites geiferte, heute aber breit und gemein als Weitanschauung über allen weißen meisten wissen gar nicht, in welchem Grade sie selbst es sind. Die schlechten Manieren aller Parlamente, die allgemeine Neigung, ein nicht sehr sauberes Geschäft mitzumachen, wenn es Geld ohne Arbeit verspricht, Jazz und Niggertänze als seelischer Ausdruck aller Kreise, der Frauen, die Sucht von Literaten, in Ro- nehmen Gesellschaft unter allgemeinem Beifall lächerlich zu machen, und der schlechte Geschmack bis in den hohen Adel und alte Fürsten- häuser hinein, sich jedes gesellschaftlichen Zwanges und jeder alten Sitte zu entledigen, beweisen, daß der Pöbel tonangebend geworden ist. Aber während man hier über die vornehme Form und die alte Sitte lächelt, weil man sie nicht mehr als Imperativ in sich trägt, und ohne zu ahnen, daß es sich hier um fesseln sie dort den Haß, der DIE WEISSE WELTREVOLUTION was nicht jedem zugänglich ist, was emporragt und endlich hinunter soll. Nicht nur Tradition und Sitte, sondern jede Art von verfeinerter Kultur, Schönheit, Grazie, der Geschmack sich zu kleiden, die Sicher- heit der Umgangsformen, die gewählte Sprache, die beherrschte Hal- tung des Körpers, die Erziehung und Selbstzucht verrät, reizen das gemeine Empfinden bis aufs Blut. Ein vornehm gebildetes Gesicht, ein schmaler Fuß, der sich leicht und zierlich vom Pflaster hebt, widersprechen aller Demokratie. Das otium cum dignitate statt von Boxkämpfen und Sechstagerennen, die Ken- edle Kunst und alte Dichtung, selbst die Freude an einem gepflegten Garten mit schönen Blumen und sel- tenen Obstarten ruft zum Verbrennen, Zerschlagen, Zertram- peln auf. Die Kultur ist in ihrer Überlegenheit der Feind. Weil man ihre Schöpfungen nicht verstehen, sie sich innerlich nicht an- eignen kann, weil sie nicht „für alle" da sind, müssen sie vernichtet Und das ist die Tendenz des Nihilismus: Man denkt nicht daran, die Masse zur Höhe echter Kultur zu erziehen; das ist anstrengend und unbequem und vielleicht fehlt es auch an gewissen Voraussetzungen. Im Gegenteil: Der Bau der Gesellschaft soll eingeebnet wer- den bis herab auf das Niveau des Pöbels. Die allgemeine Gleichheit soll herrschen: alles soll gleich gemein sein. Die gleiche Art, sich Geld zu verschaffen und es für die gleiche Art von Ver- gnügen auszugeben: panem et circenses — mehr braucht man nicht und mehr versteht man nicht. Überlegenheit, Manieren, Geschmack, jede Art von innerem Rang sind Verbrechen. Ethische, religiöse, nationale Ideen, die Ehe um der Kinder willen, die Familie, die Staatshoheit sind altmodisch und reaktionär. Das Straßenbild von Moskau zeigt das Ziel, aber man täusche sich nicht: Es ist nicht der von Moskau, der hier gesiegt hat. Der Bolschewismus ist in teuropa zu Hause, und zwar, seit die englisch-materialistische lehrige Schüler verkehrten, im Jakobinismus des Kontinents einen wirksamen Ausdruck gefunden hatte. DieDemokratie des 1 9. Jahr- hunderts ist bereits Bolschewismus; sie besaß nur noch nicht den Mut zu ihren letzten Folgerungen. Es ist nur ein Schritt vom Ba- stillesturm und der die allgemeine Gleichheit befördernden Guillo- tine zu den Idealen und Straßenkämpfen von i848, dem Jahr des kommunistischen Manifest», und ein zweiter von dort bis zum Sturz ten Zarentums. Der Bolschewismus droht uns it, sondern er beherrscht uns. Seine Gleichheit ist die Gieich- setzung des Volkes mit dem Pöbel, seine Freiheit ist die Befreiung von der Kultur und ihrer Gesellschaft. Zu einer hohen Kultur gehört endlich noch etwas, und zwar mit ] wendigkeit, was gemeine Naturen in Delirien von Neid und Haß aus- brechen laßt: Der Besitz im ursprünglichen Sinne, der alte und dauerhafte Besitz, der von den Vätern her ererbt oder in Jahrzehnten strenger und entsagungsvoller eigener Arbeit herangewachsen ist und für Söhne und Enkel gepflegt und vermehrt wird. Reichtum ist nicht nur eine Voraussetzung, sondern vor allem die Folge und der Ausdruck von Überlegenheit, und nicht nur durch die Art, wie er erworben wurde, sondern auch durch die Fähigkeit ihn als Element echter Kultur zu gestalten und zu verwenden. Es muß endlich ein- mal offen gesagt werden, obwohl es der Gemeinheit dieser Zeit ins Gesicht schlägt: Besitzen ist kein Laster, sondern eine Be- gabung, deren die wenigsten fähig sind. Auch sie ist das Ergebnis einer langen Zucht durch gehobene Geschlechter hin, zuweilen, bei den Gründern aufsteigender Familien, durch Selbsterziehung auf der Grundlage starker Rasseeigenschaften erworben, beinahe nie durch urwüchsige Genialität allein vorhanden, ohne alle Voraus- setzungen von erziehender Umgebung und vorbildlicher Vergangen- heit. Es kommt nicht darauf an, wieviel, sondern was und in wel- Man kann Besitz als Mittel zur Macht wollen und haben. Das ist die Unterordnung von wirtschaftlichen Erfolgen unter politische Ziele Lenken von Staaten Geld gehört. So hat es Cäsar aufgefaßt, als er Gallien eroberte und plünderte, und in unseren Tagen Gecil Rhodes, als er die südafrikanischen Minen in seine Hand brachte, um hier ein Reich nach seinem persönlichen Geschmack zu gründen. Kein armes Volk kann große politische Erfolge haben, und wenn es Armut für DIE WEISSE WELTREVOLUTION 71 und Reichtum für Sünde hält, so verdient es auch keine, sitz ist eine Waffe. Das war auch der letzte, kaum ganz bewußte lischer See- und Landfahrten : Mit den erbeuteten Schätzen und warb ein Gefolge. Eine königliche Frei- aigkeit kennzeichnet diese Art des Willens zur Macht. Sie ist das Gegenteil von Habgier und Geiz wie von parvenuhafter Ver- schwendung und von weibischer Nächstenliebe. Aber davon ist hier nicht die Rede. Ich spreche vom Besitzen, insofern es die Tradition einer Kultur in sich hat. Es bedeutet innere Überlegenheit : es zeich- net vor ganzen Klassen von Menschen aus. Es gehört nicht viel dazu: Ein kleiner gut gehaltener Bauernhof, ein tüchtiges Hand- werk von gutem Ruf, ein winziger Garten, dem man die Liebe an- sieht, mit der er gepflegt wird, das saubere Haus eines Bergmanns, ein paar Bücher oder Nachbildungen alter Kunst. Worauf es ankommt ist, daß man diese Dinge in eine persönliche Welt verwandelt, mit seiner Persönlichkeit durchdringt. Echter Besitz ist Seele und erst insofern echte Kultur. Ihn auf seinen Geldwert hin abschätzen ist irgendwie ein Mißverständnis oder eine Entweihung. Ihn nach dem Tode des Besitzers teilen ist eine Art Mord. Das war die germanische Auffassung vom Erbe: Es war der Idee nach eine unauflösliche Einheit, von der Seele des Verstorbenen durchdrun- versteht das? Wer hat heute noch Augen und Gefühl für den inner- lichen, beinahe metaphysischen Unterschied von Gut und Geld? 1 Echte Güter sind etwas, mit dem man innerlich verwachsen ist, wie ein germanischer Krieger mit seinen Waffen, die er als Eigen- tum mit ins Grab nimmt, wie ein Bauer mit seinem Hof, auf dem schon die Väter gearbeitet haben, ein Kaufmann alten Schlages mit der Firma, die den Namen der Familie trägt, ein echter Handwerker mit seiner Werkstatt und seinem Beruf: etwas, dessen Wert für den Besitzer nicht in Geld auszudrücken ist, sondern in einer Verbundenheit besteht, deren Zerstörung ans Leben greift. Deshalb ist wirklicher „Besitz* 'im tieferen Sinne immer unbeweglich. Er haftet am Besitzer. Er besteht aus Dingen und ist nicht in ihnen „angelegt" 2 wie die bloßen Vermögen, die nur quantitativ zu bestimmen und ganz eigentlich heimatlos sind. Deshalb streben aufsteigende Familien im- 1 Unt. d. Abendl. II, S. »97 ff. « Polit. Schriften S. i38ff., 269. 72 DIE WEISSE WELT REVOLUTION mer nach Grundbesitz als der Urform des unbeweglichen Gutes, und sinkende suchen ihn in Bargeld zu verwandeln. Auch darin liegt der Unterschied von Kultur und Zivilisation. „Geld" aber ist ein Abstraktum, 1 eine reine Wertmenge im Sinne des Marktes, die nur mathematisch an irgendeiner Währung ge- vom Glücksspiel und Einbruchsdiebstahl bis zu Geschäften mit Politik und zur Börsenspekulation mit Summen, die man gar nicht hat, und andererseits es jederzeit hinauswerfen zu können, ist sein einziger Reiz. Darin sind Proleten und Parvenüs einig, und auch darin besteht eine innere Verwandtschaft zwischen Bolschewismus und Amerikanismus. Was ein zu Geld gekommener radikaler Partei- führer oder Spekulant „hat", soll gezeigt werden. Die Schlösser reichgewordener Jakobiner, geriebener Finanzleute seit den fran- zösischen Steuer pächtern des 18. Jahrhunderts und nordamerika- im alten Rom, wo Martial, Juvenal, Petronius über diese Zurschau- stellung zu schnell erworbener Geldmassen spotteten. Natürlich gibt man alles für sich selbst aus, auch wenn man etwas stiftet, ver- geudet oder andern gönnerhaft in die Tasche steckt: aber der Zu- schauer ist das Wesentliche. Die ganze Welt soll es wissen, sonst hat es keinen Sinn. Man genießt das Geldausgeben als solches. Man will den Mäzen spielen, weil man davon gehört hat, aber man bringt es nur zu dem, was man in München eine Würzen nennt, zum gön- nerhaften Protzen, zu einer Kopie des römischen Trimalchio. Man denen nur der Preis wichtig ist. Der gesamte Kunsthandel lebt heute wie zur Zeit Casars 2 davon. Aber die sinnlosesten „Verschwender'* saubere Gewinne und Parteigehälter vertrunken und verspielt wer- den, nicht in den Bürgerhäusern alter Patriziate und auf den Land- gütern alter Familien. Aber weil man die Kultur, die Tradition des Genießens, die aus wenigem viel zu machen versteht, nicht hat und nicht mit Geld erwerben kann, so frißt trotz alledem der Neid auf diese Art von Überlegenheit an allen Menschen von gemeiner Natur. (1920), III, S. 97— 117. DIE WEISSE WELTREVOLUTION 73 Es muß immer wieder gesagt werden, gerade heute, wo in Deutsch- land „nationale* * Revolutionäre von den Idealen allgemeiner Armut und Armseligkeit schwärmen wie ein Bettelmönch, im schönen Ein- verständnis mit den Marxisten den Reichtum jeder Art für ein Ver- brechen und Laster erklären und gegen alles zu Felde ziehen, was diese Überlegenheit in Dingen von hoher Kultur hat, was durch Fähigkeit des Erwerbens, Erhaltens und Verwendens von Besitz andere überragt — und zwar aus Neid auf diese Fähigkeiten, die ihnen selbst gänzlich fehlen: Hohe Kultur ist mit Luxus und Reichtum untrennbar verbunden. Luxus, das selbstverständ- liche Sichbewegen unter Dingen von Kultur, die seelisch zur Persön- lichkeit gehören, ist die Voraussetzung aller schöpferischen Zeiten zum Beispiel für das Entstehen einer großen Kunst, die es heute auch darum nicht mehr gibt, weil seit dem vorigen Jahrhundert das wirkliche Kunst! eben erloschen ist, das sich stets in der Gesell- schaft abgespielt hat, zwischen Kennern und Schöpfern bedeutender Werke und nicht zwischen Kunsthändlern, Kunstkritikern und Snobs, dem „Volk" oder gar dem „Publikum". Und Reichtum, der sich in wenigen Händen und in führenden Schichten sammelt, ist unter anderem die Voraussetzung für die Erziehung von Generationen führender Köpfe durch das Vorbild einer hochentwickelten Um- gebung, ohne die es kein gesundes Wirtschaftsleben und keine Ent- wicklung politischer Fähigkeiten gibt. Ein Erfinder kann arm sein, aber in einem bettelhaften Volk kommt seine Begabung nicht durch große Aufgaben zur Reife und oft nicht einmal zum Bewußtsein ihrer selbst. Und nicht anders steht es mit staatsmännischen und künstlerischen Anlagen. Deshalb wurden die Deutschen seit i648 das weltfremde Volk der Theoretiker, Dichter und Musiker, denn allein dazu braucht man kein Geld. Sie verwechselten, und ver- wechseln heute noch, romantische Einbildungen mit wirklicher Politik, denn das kostet nichts — außer dem Erfolg. Aber Reichtum ist ein relativer Begriff . Was in England um 1770 geringen Wohlstand bedeutete, war in Preußen sehr reich. Und ebenso Armut : Der preu- ßische Adel warinseiner guten Zeit arm und deshalb im Gegensatz zum englischen arm an staätsmännischen Begabungen, die zu ihrer Ausbil- dung, von seltenen Ausnahmen abgesehen, das Leben in der großen Welt voraussetzen; er war arm, aber er empfand das nicht als DIE Armut. 1 Der Mangel an bedeutendem Besitz oder Einkommen ist kein Unglück oder Elend, so wenig ihr Vorhandensein Glück im all- über sie, die Empfindung von Unterschieden als Gegensätze, der Neid macht ihn dazu. Damit man sich elend fühle, muß einem das bescheidene Dasein erst verekelt werden, und das ist die Aufgabe der Demagogen aller Zeiten gewesen. Im Nürnberg Albrecht Dürers etwa freute sich der einfache Mann ohne Neid über die Pracht der höheren Stände. Etwas von dem Glanz der Vaterstadt fiel auch auf ihn und er bedachte, daß seine Lebenshaltung davon abhing und daß er sich in der der anderen niemals glücklich fühlen würde. Ge- rade der unverbildete Verstand von Bauernknechten und werkern ist sich bewußt, daß Besitz vor allem Verantwortung, und Arbeit bedeutet. Aber seit dem 18. Jahrhundert, Menschenschicksal ist der Neid planmäßig gezüchtet worden, der dem fleißigen und tüchtigen Arbeiter von Natur ganz fernliegt, und zwar von der Unterwelt der demokratischen Berufspolitiker und Schreiber des Tages wie Rousseau, die daran verdienten oder ihren kranken Gefühlen Genüge taten. Die Gier nach dem Eigentum der andern, das als Diebstahl gezeichnet wird, ohne daß man die damit verbundene Arbeit und Begabung achtet oder beachtet, wird zur Weltanschauung ausgebildet und hat eine entsprechende Politik von unten zur Folge. Und erst damit beginnt die Revolution der Gesellschaft eine wirt- schaftliche Tendenz zu erhalten, die in agitatorischen Theorien zum Ausdruck kommt, nicht in bezug auf Organisation und Ziele der und Erträge. Es werden Gegensätze zwischen reich und arm ge- schaffen, um zwischen ihnen den Kampf zu eröffnen. Man will „alles" haben, was da ist, was sich zu Geld machen läßt, durch Ver- teilung oder Gemeinbesitz, und zerstören, was man nicht haben kann, damit es die anderen nicht weiter besitzen. Aus diesem Fühlen 1 Selbstverständlich auch nicht als Vorzug:, was man manchen Tröpfen immer wieder sagen muß. Lautes Lob der Armut ist genau so verdächtig wie Schmähen des Reich - tums: Dahinter machen. DIE WEISSE WELTREVOLUTION 75 deren sich selbst ernennenden Wortführern ist alles entstanden, was in der Antike gleiche Verteilung der Guter und was heute Klassen- kampf und Sozialismus heißt. Es ist der Kampf zwischen unten und oben in der Gesellschaft, der geführt wird zwischen den Führern der Nationen und den Führern aus der Unterweit, denen die Klassen der Handarbeiter nur Objekte und Mittel zu eigenen Zwecken sind, und in welchem die altgewordene Gesellschaft nur eine schwäch- liche Verteidigung, ihre geborenen Feinde aber einen schonungs- losen Angriff führen, bis der heraufkommende Gäsarismus der Dik- 16 Damit sind die Voraussetzungen gewonnen, um die „weiße" Re- volution in ihrem vollen Umfang, ihren Zielen, ihrer Dauer und ihrer logischen Entwicklung zu zeichnen, was bisher niemand gewagt hat und was vielleicht auch nicht möglich war, bevor sie mit den Folgen des ersten Weltkrieges in die entscheidenden Jahrzehnte trat. Die Skepsis, die Voraussetzung des historischen Blicks, des Unter- sichsehens der Geschichte — wie die Menschenverachtung die not- wendige Voraussetzung tiefer Menschenkenntnis ist — steht nicht am Anfang der Dinge. Diese Revolution beginnt nicht mit dem materialistischen Soziaiis- mus des 19. Jahrhunderts und noch viel weniger mit dem Bol- schewismus von 19 17. Sie ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts „in Permanenz 41 , um eine ihrer geläufigen Phrasen zu gebrauchen. Da- malsbegann die rationalistische Kritik, die sich stolz Philosophie der Aufklarung 1 nannte, ihre zerstörende Tätigkeit von den theologi- schen Systemen des Christentums und der überlieferten Welt- anschauung der Gebildeten, die nichts war als Theologie ohne den der Gesellschaft, zuletzt den gewachsenen Formen der Wirtschaft zuzuwenden. Sie begann die Begriffe Volk, Recht und Regierung ihres geschichtlichen Gehaltes zu entleeren und gestaltete den Unter- schied von reich und arm ganz materialistisch zu einem morali- * Unt. d. Abendl. II, S. 3 7 4ff. 76 DIE WEISSE WELTREVOLUTION sehen Gegensatz, der mehr agitatorisch behauptet als ehrlich ge- glaubt wurde. Hierher gehört die Nationalökonomie, die als materialistische Wissenschaft um 1770 von A. Smith im Kreise von Hartley, Priestley, Mandeville und Bentham begründet wurde und die sich anmaßte, die Menschen als Zubehör zur wirtschaft- lichen Lage zu betrachten 1 und die Geschichte von den Begriffen Auffassung der Arbeit nicht als Lebensinhalt und Beruf, sondern als Ware, mit welcher der Arbeitende Handel treibt. 2 All die Ge- schichte gestaltenden Leidenschaften und schöpferischen Züge star- ker Persönlichkeiten und Rassen sind vergessen, der auf Befehlen und Herrschen, auf Macht und Beute gerichtete Wille, der Erfinder- folge und auf der anderen Seite der Neid, die Faulheit, die giftigen Gefühle der Minderwertigen. Es bleiben nur die „Gesetze" des Gel- des und Preises, die in Statistiken und graphischen Kurven ihren Ausdruck finden. Daneben beginnt der Flagellantismus der sinkenden, allzu geistreich gewordenen Gesellschaft, die zu ihrer eigenen Verhöhnung Beifall klatscht: „Figaros Hochzeit" des Herrn ..de" Beaumarchais, die dem königlichen Verbot zum Trotz im Schlosse Gennevilliers vor dem grinsenden Hofadel aufgeführt wurde, die Romane des Herrn „de" 3 verschlungen worden sind, die Zeichnungen Hogarths, Gullivers Reisen und Schillers „Rauber" und „Kabale und Liebe", die einzi- das durch ihr Publikum, das durchaus nicht den unteren Schichten angehörte. 4 Was in den „durchgeistigten" Kreisen der hohen Gesell- schaft selbst geschrieben wurde, die Briefe des Lord Ghesterfield, die Maximen des Herzogs von Larochefoucauld, das Systeme de la * Unt. d. Abend!. II, S. 583 ff. 2 Polit. Schriften S. 79 ff. 3 Nicht nur diese kleinbürgerlichen Hochstapier und Literaten, die Söhne des Uhrmachers Caron und des Steuerbeamten Arouet, sondern auch „de" Robespierre hat, noch zur Zeit der Nationalversammlung, widerrechtlich den Adelstitel geführt. Sie wollten zur Gesellschaft gerechnet werden, die sie zerstörten: ein charakteristischer Zug aller Revo- lutionen dieser Art. * Ebenso die sozialistischen Stücke und Romane der achtziger Jahre und die bolsche- wistischen nach 19 18, die in allen Großstädten Westeuropas sich bei denen bezahlt machten, gegen die ihr Angriff gerichtet war. nature des Barons Holbach, war außerhalb derselben schon infolge der geistreichen Diktion unverständlich, ganz abgesehen davon, daß und Schreiben nicht einmal in den mittleren Schichten ali- waren. so besser verstanden die Berufsdemagogen der städtischen Unter- die nichts gelernt hatten als Reden halten und Pamphlete schreiben, daß sich aus diesen Schriften vortreffliche Schlagworte für die Agitation unter der Masse gewinnen ließen. In England began- nen die Unruhen 1762 mit dem Fall Wilkes\ der wegen Beleidigung der Regierung durch die Presse verurteilt und daraufhin immer wieder ins Unterhaus gewählt wurde. In Versammlungen und bei planmäßi- gen Krawallen (riots) war „Wilkes und Freiheit" der Ruf, mit dem wurden. Damals hat Marat sein erstes Pamphlet: „The chains of slavery" in England und für Engländer geschrieben (1774). Der Abfall der amerikanischen Kolonien ( 1776), ihreErklärung der allgemeinen Menschenrechte und der Republik, ihre Freiheitsbäume und Tugend- bündler sind letzten Endes von englischen Bewegungen dieser Jahre ausgegangen. 1 Von 1779 an entstehen die Klubs und geheimen Ge- sellschaften, die das ganze Land durchsetzten, eine Revolution an- strebten und seit 1790, die Minister Fox und Sheridan an der Spitze, dem Konvent und den Jakobinern Glückwunschadressen, Briefe und Ratschlage sandten. Wäre die herrschende englische Plutokratie nicht sehr viel energischer gewesen als der feige Hof von Versailles, so wäre die Revolution in London noch früher ausgebrochen als in Paris. 2 Die Pariser Klubs, vor allem die Feuillants und Jakobiner, sind einschließlich ihrer Programme, ihrer Verzweigung über ganz Frankreich und der Form ihrer Agitation nichts als Kopien der eng- ihrer Mitglieder durch Citizen und das neugebildete citizeness über- setzt und die Phrase Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wie die 1 Die Lpy alisten, die nicht republikanisch gesinnten Amerikaner, wanderten daraufhin mehr oder weniger freiwillig nach Kanada aus. 2 In Deutschland kam es nicht dazu, weil eine eigentliche Hauptstadt mit dem Zubehör von Agitatoren, Winkelliteraten und Berufsverbrechern fehlte. Die Ideologen waren da. Man braucht nur an Georg Forster und andere zu erinnern, die in Mainz und dann in Paris als Jakobiner auftraten und für ihre Ansicht starben. 1793 mußten die poli- tischen Klubs nach englisch-französischem Vorbild durch ein Reichsgesetz verboten werden. DIE WEISSE WELTREVOLUTION Könige als Tyrannen übernommen. Seitdem und die Form der Vorbereitung von Revolutionen ge- Bezeichnung heute noch i und Versammlungsfreiheit als Mittel dafür, die Kernforderung des politischen Liberalismus, des Freiseinwollens von den ethischen Bindungen alter Kultur, ein Verlangen, das nichts weniger als all- gemein war, sondern von den Schreiern und Schreibern so bezeich- net wurde, die davon leben und die privaten Zwecke dieser Freiheit „Gebildeten'", die Spießbürger des 19. Jahrhunderts, die Opfer dieser Freiheit also, erhoben sie zu einem Ideal, das jeder Kritik seiner Hintergründe entzogen blieb. Heute, wo wir nicht nur die Hoff- nungen des 18., sondern auch die Folgen des 20. Jahrhunderts vor uns sehen, läßt sich endlich darüber reden. Freiheit wovon, wofür? Diese Freiheiten haben sich überall als das herausgestellt, was sie sind: Mittel des Nihilismus zur Einebnung der Gesellschaft, Mittel der Unterweit, um der Masse der großen Städte diejenige Meinung einzuimpfen — eine eigene hat sie nicht — , die für diesen Zweck die erfolgversprechendste ist. 1 Deshalb werden diese Freiheiten — auch das allgemeine Wahlrecht gehört dazu — in dem Augenblick wieder hekämpft, beseitigt und in ihr Gegenteil verkehrt, wo sie ihren Zweck erfüllt und ihren Nutznießern die Gewalt in die Hände ge- geben haben, im jakobinischen Frankreich von 1793, im bolschewi- stischen Rußland und in der Gewerkschaftsrepublik Deutschland seit 1918. Wann gab es hier mehr Zeitungsverbote. 1820 oder 1920? siheit war immer die Freiheit derjenigen, welche die Macht er- 1, nicht beseitigen wollten. Dieser aktive Liberalismus schreitet folgerichtig vom Jako- binismus zum Bolschewismus fort. Das ist kein Gegensatz des Denkens und Wollens. Es ist die Früh- und die Spätform, Anfang und Ende einer einheitlichen Bewegung. Und zwar beginnt sie um 1770 mit sentimentalen „sozialpolitischen" Tendenzen : Der Bau der Gesellschaft nach Stand und Rang soll zerstört werden; man will zur „Natur", zur gleichförmigen Horde zurück. An Stelle des Standes soll das treten, was nicht von Stand ist, Geld und Geist, Kontor und Ka- theder, die Rechner und Schreiber, an Stelle des formvollen Lebens das Leben ohne Form, ohne Manieren, ohne Pf lichten, ohne Distanz. Erst um i8&o geht diese sozialpolitische Tendenz in eine „wirt- schaftspolitische" über. Statt gegen den Vornehmen wendet man sich gegen den Besitzenden, vom Bauern bis zum Unternehmer. Nicht mehr Gleichheit der Rechte wird den Anhängern der Bewegung ver- sprochen, sondern das Vorrecht der Besitzlosen, nicht mehr Frei- heit für alle, sondern die Diktatur des großstädtischen Pro- letariats, der „Arbeiterschaft* 4 . Aber das ist kein Unterschied der Weltanschauung — die war und blieb materialistisch und utilitari- stisch — j sondern einzig und allein der revolutionären Methode : Die berufsmäßige Demagogie mobilisiert einen anderen Teil der Volker Bauern und Handwerker gewandt, in England wie in Frankreich. Die Cahiers der ländlichen und kleinstädtischen Abgeordneten von 1789, welche den „Aufschrei der Nation" darstellen sollten, waren von berufsmäßigen Schreiern 1 verfaßt und von den Wählern zum großen Teil gar nicht begriffen worden. Diese Schichten hatten zu- viel wurzelhafte Tradition, um als Mittel und Waffe unbedingt brauchbar zu sein. Ohne den Pöbel der östlichen Vororte wäre die Herrschaft des Terrors in Paris nicht möglich gewesen. Man brauchte die stets gegenwärtigen Fäuste der großen Stadt. Es ist nicht wahr, daß es sich damals um „wirtschaftliche" Nöte gehandelt hätte. Steuern und Zölle waren Hoheitsrechte. Das allgemeine Wahlrecht sollte ein Schlag gegen die Gesellschaftsordnung sein. Daher der Mißerfolg des Konvents: Bauerntum und Handwerk waren für Berufs- Sie waren fleißig und hatten etwas gelernt; außerdem wollten sie den Hof oder die Werkstatt den Söhnen hinterlassen: Programme und Schlagworte wirkten hier nicht auf die Dauer. Erst um i84o fand die sich gleichförmig fortentwickelnde schrei- bende und redende Demagogie Westeuropas 2 ein besseres Mittel für 1 A.Wahl, Studien zur Vorgeschichte der französischen Revolution (1901), S. a4. 2 Die bekannten Führer gehören sämtlich dem „Bürgertum" an. Owen, Fourier, waren „Unternehmer", Marx und Lassalle „Akademiker"; schon Danton und pierre waren Juristen, Marat Mediziner gewesen, nalisten. Es ist kein einziger Arbeiter darunter. Der Rest sind Literaten und Jour- DIE WEISSE WELTREVOLUTION ihre Zwecke: die entwurzelte Masse, die sich auf der nordeuropä- ischen Kohle ansammelte, 1 den Typus des Industriearbeiters. Man muß sich endlich über eine Tatsache klar werden, die im Nebel der parteipolitischen Kämpfe gründlich verborgen geblieben ist: Nicht das „wirtschaftliche Elend", das der „Kapitalismus" über das „Pro- letariat" gebracht hat, führte zur Entstehung des Sozialismus, son- dern die Berufsagitation hat diese „zielbewußte" Anschauung der Dinge geschaffen, wie sie vor 1789 das vollkommen falsche Bild verelendeten Bauernstandes zeichnete, 2 und zwar lediglich hoffte. Und das gebildete und halbgebildete Bürgertum hat daran geglaubt und tut es heute noch. Das Wort „Arbeiter" wurde seit i848 mit einem Heiligenschein umgeben, ohne daß man über seinen Sinn und die Grenzen seiner Anwendung nachdachte. Und die „Ar- beiterklasse", die es in der wirtschaftlichen Struktur keines einzigen Schneidergeselle, der Metaliarbeiter, Kellner, Bankbeamte, Acker- knecht und Straßenkehrer miteinander zu tun? — wird zu einer weißen Völker in zwei Fronten gespalten hat, von denen die eine ein Heer von Parteifunktionären, Massenrednern, Zeitungsschreibern vate Ziele einstehen muß. Das ist der Zweck ihres Daseins. Der Ge- ensatz von Kapitalismus und Sozialismus — Worte, um deren De- tion sich seitdem eine ungeheure Literatur vergebens bemüht denn man definiert Schlagworte nicht — ist nicht aus irgend- einer Wirklichkeit abgeleitet, sondern lediglich eine aufreizende Konstruktion. Marx hat sie in die Verhältnisse der englischen Ma- schinenindustrie hineingetragen, nicht herausgelesen, und selbst das war nur möglich, wenn er vom Vorhandensein aller Menschen ab- sah, die mit Landwirtschaft, Handel, Verkehr und Verwaltung be- schäftigt waren. Dies Bild der Zeit hatte so wenig mit der Wirk- lichkeit und deren Menschen zu tun, daß sich sogar theoretisch der Süden vom Norden getrennt hat: die Grenze liegt etwa auf der Linie 1 Polit. Schriften S.33iff. 2 Das bald darauf aufgegeben wurde, weil es nicht die erhoffte Wirkung hatte. In Wirklichkeit ging es den französischen Bauern unter Ludwig XVI. besser als sonst in Europa. 3 Unt. d. Abendl. II, S. 696 f. DIE WEISSE WELTREVOLUTION 81 Lyon-Mailand. Im romanischen Süden, wo man wenig zum Leben braucht und wenig arbeitet, wo es keine Kohle und deshalb keine Großindustrie gibt, wo man rassemäßig anders denkt und fühlt, entwickelten sich die anarchistischen und syndikalistischen Tenden- zen, deren Wunschbild die Auflösung der großen Voiksorganismen in staatlose, kleine, sich selbst genügende Gruppen, Beduinen- schwärme des Nichtstuns ist. Im Norden aber, wo der strenge Winter die strengere Arbeit fordert und sie ebenso möglich als notwendig macht, wo zum Kampf gegen den Hunger seit Urzeiten der gegen die Kälte tritt, entstehen aus dem germanischen, auf Organisation im Großen gerichteten Willen zur Macht die Systeme des auto- ritären Kommunismus mit dem Endziel einer proletarischen Diktatur über die ganze Welt. Und erst weil im Laufe des 19. Jahr- hunderts die Kohlenfelder dieser nördlichen Länder eine Ansamm- lung von Menschen und von nationalem Reichtum von einer bis dahin unerhörten Größenordnung veranlaßt haben, hat auch die Demagogie in ihnen und über ihre Grenzen hinaus eine ganz andere Stoßkraft erhalten. Die hohen Löhne des englischen, deutschen und amerikanischen Fabrikarbeiters siegten, gerade weil sie nichts weni- ger als „Hungerlöhne'* waren, über die niedrigen der Landarbeiter im Süden, und erst infolge dieser „kapitalistischen" Überlegenheit der Parteimittel hat der Marxismus über die Theorien von Fou- rier und Proudhon gesiegt. Das Bauerntum wird von ihnen allen nicht mehr beachtet. Es hat als Waffe für den Klassenkampf wenig Wert, schon weil es auf dem Straßenpflaster nicht jeder- zeit zur Verfügung steht und weil seine Traditionen von Besitz und Arbeit den Absichten der Theorie widersprechen, und es wird des- halb von den Schlagworten des kommunistischen Programms igno- fältiger man ist, desto weniger bemerkt man, was alles außerhalb dieses Schemas bleibt. Jede Demagogie gestaltet ihr Programm nach dem Teil der Nation, auf dessen Mobilmachung sie für ihre Zwecke rechnet. In Rom war es von Flaminius bis auf C. Gracchus die italische Bauernschaft, die Land haben wollte, um es zu bestellen. Daher die Aufteilung des gallischen Gebietes südlich vom Po durch den ersten und die 82 DIE WEISSE WELTREVOLU TJÖN Aber Gracchus ging zugrunde, weü die Bauern, die in Masse iut Ab- stimmung nach Rom gewandert waren, der Ernte wegen wieder nach Ctnna und CatOina auf die Sklaven und vor allem statt auf die Tagelöhner, wie es m den griechischen Städten seit Kleon i Straßen Roms herumlungerte und gefüttert und unterhalten sein et circenses! Gerade weil man sich ein Jahrhundert für sich iu gewinnen, sind sie zu einem Umfang an- gewachsen, der noch nach Casar eine ständige Gefahr für die Re- gierung des Weltreiches bildete. Je minderwertiger ein solches Ge- folge, desto brauchbarer ist es. Und deshalb hat der Bolschewis- mus seit der Pariser Kommune von 1871 weit weniger auf den ge- lernten fleißigen und nüchternen Arbeiter zu wirken gesucht, der an sindel der großen Städte, das in jedem Augenblick bereit ist zu plün*- dern und zu morden. Deshalb haben in Deutschland von 1 918 bis in die Jahre der großen Arbeitslosigkeit hinein die regierenden Gewerk- schaftsparteien sich wohl gehütet, zwischen Arbeitslosen und Ar- beitsscheuen einen gesetzlichen Unterschied entstehen zu lassen. Da- mals hat neben der Unterstützung angeblicher Arbeitslosigkeit ein Mangel an Arbeitern bestanden, vor allem auf dem Lande, und nie- mand wollte das ernstlich verhindern. Die Krankenkassen wurden von Tausenden mißbraucht, um der Arbeit aus dem Wege zu gehen. Die Arbeitslosigkeit ist in ihren Anfängen vom Marxismus geradezu gezüchtet worden. Der Begriff des Proletariers schließt die Freude an der Arbeit aus. Ein Arbeiter, der etwas kann und stolz auf seine revolutionäre Bewegung. Er muß proletarisiert, demoralisiert wer- den, um für sie brauchbar iu sein. Das ist der eigentliche Bolschewis- mus, in dem diese Revolution ihren Höhepunkt, abe nicht ihren Abschluß findet. Es kennzeichnet die Oberflächlichkeit des Denkens der betrachtet wird, die Westeuropa zu erobern drohe. In Wirklichkeit ist er in Westeuropa entstanden, und zwar mit folgerichtiger Notwendig- DIE WEISSE WELTREVOLUTION keit als letzte Phase der liberalen Demokratie von 1770 und als letzter Triumph des politischen Rationalismus, das heißt der Anmaßung, die lebendige Geschichte durch papierne Systeme und Ideale meistern zu wollen. Sein erster Ausbruch großen Stils war nach den Juni- schlachten von 1848 die Pariser Kommune von 1871, die nahe daran war, ganz Frankreich zu erobern. 1 Nur die Armee verhindert 2 — und die deutsche Politik, die diese Armee mors stützte. Damals, nicht 191 7 in Rußland, sind aus den einer belagerten Hauptstadt heraus die Arbeiter- und Soldatenräte entstanden, die Marx, ein Tropf in praktischen Fragen, als mögliche Form einer kommunistischen Regierung seitdem empfohlen hat. Damals sind zuerst die massenhaften Abschlachtungen der Gegner durchgeführt worden, die Frankreich mehr Tote gekostet haben als der ganze Krieg gegen Deutschland. Damals herrschte in Wirklich- keit nicht die Arbeiterschaft, sondern das arbeitsscheue Gesindel, Deserteure, Verbrecher und Zuhälter, Literaten und Journalisten, darunter wie immer viele Ausländer, Polen, Juden, Italiener, selbst Deutsche. Aber es war eine spezifisch französische Form der Revo- lution. Von Marx war keine Rede, um so mehr von Proudhon, Fou- rier, den Jakobinern von 1792. Ein loser Bund der großen Städte, das heißt ihrer untersten Schichten, sollte das flache Land und die Kleinstädte unterwerfen und beherrschen — ein typischer Gedanke des romanischen Anarchismus. Etwas Ähnliches hatte schon i4.ii der Fleischer Caboche mit dem militärisch organisierten Pöbel von Paris versucht. Das ist 19 17 in Petersburg nur kopiert worden, mit einem gleichartigen „westlichen" Pöbel und mit den gleichen Schlag- worten. Die „asiatische" Seite dieser russischen Revolution aber, nicht gelungen ist, die westlich-kommunistischen Formen der Sowjet- herrschaft zu überwinden, hat ihren frühesten Ausdruck im Auf- gebiet ergriff und zeitweise Moskau und damit den Zarismus be- drohte. Das religiös begeisterte 5 Bauerntum, darunter ganze Kosa- 1 Der Aufstand kam auch in Lyon, Marseille, Toulouse, Creusot, Narbonne zum Aus- kenstämme, tötete alles, was ihm von Vertretern des peir mischen, „europäisch" geformten Rußland in die Hände fiel, Offiziere, Be- im! den Vertretern der Sowjetbürokratie gemacht, und ihre Nach- das Moskau dieser Tage immer we~ aus ihrem Denken heraus tz zut int „weißen" Völker brütet und dem diese Demokratie und dieser Sozia- lismus selbst angehören, und dem Haß, der sich in allen farbigen Bevölkerungen der Welt gegen die weiße Zivilisation als Gesamtheit, einschließlich ihrer revolutionären Strömungen, ansammelt. Wie aber stellt sich die Gesellschaft" der westeuropäischen Zivili- sation, die sich im heutigen England gern als Mittelklasse, auf dem denn sie hat den Bauern eben- — , seit 1770 und vor allem seit i848 zur Tat- Stenden Revolution von unten, von ieiten, die der Presse, Vereine. unterstützt. tuelle Selbstmord war die große Mode des vorigen Jahrhunderte. Es muß immer wieder festgestellt werden: diese Gesellschaft, in der sich eben jetzt der Übergang von der Kultur zur Zivili- sation vollzieht, ist krank, krank in ihren Instinkten und deshalb auch in ihrem Geist. Sie wehrt sich nicht. Sie findet Geschmack an ihrer Verhöhnung und Zersetzung. Sie zerfällt seit der Mitte des 1 Dasselbe drückt in Frankreich seit 1789 citoyen und bourgeois tatsächlich aus, den Willen der Stadt gegen das Land. DIE WEISSE WELTREVOLU T 10 N 18. Jahrhunderts immer mehr in liberale und erst im Wider- spruch, in der verzweifelten Abwehr dagegen konservative Kreise. Auf der einen Seite gibt es eine kleine Zahl von Menschen, die aus sicherem Instinkt für die politische Wirklichkeit sehen, was vor sich geht und wohin es geht, die zu verhindern, zu mäßigen, abzuleiten versuchen, Persönlichkeiten nach Art des Scipionenkreises in Rom, aus dessen Anschauungen heraus Polybius sein Geschichtswerk ge- schrieben hat: Burke, Pitt, Wellington, Disraeli in England, Metternich und Hegel, später Bismarck in Deutschland, Tocqueville in Frankreich. Sie haben die erhaltenden Mächte der alten Kultur, den Staat, die Mon- archie, das Heer, das Standesbewußtsein, den Besitz, das Bauerntum zu verteidigen versucht, selbst wo sie Einwände hatten, und werden ralen erfunden worden ist und heute von ihren marxistischen Zög- lingen auf sie selbst angewendet wird, seit sie die letzten Folgen schritt. Auf der andern Seite befindet sich nahezu alles, was städti- sche Intelligenz besitzt oder sie zum mindesten als Zeichen zeit- gemäßer Überlegenheit und als Macht der Zukunft bewundert — einer Zukunft, die heute schon Vergangenheit ist. Hier wird der Journalismus zum herrschenden Ausdruck der Zeit ä ist der kritische esprit des 18. Jahrhunderts, zum Ge- geistig Mittelmäßige verdünnt und verflacht, und man vergesse nicht, daß das griechische krinein scheiden, zerlegen, zer- setzen bedeutet. Drama, Lyrik, Philosophie, sogar Naturwissenschaft und Geschichtsschreibung 1 werden Leitartikel und Feuilleton, mit einer maßlosen Tendenz gegen alles, was konservativ ist und einmal Ehrfurcht eingeflößt hat. Die Partei wird zum liberalen Ersatz für Stand und Staat, die Revolution in der Form periodischer Massen- wahlkämpfe mit allen Mitteln des Geldes, des „Geistes" und selbst nach gracchischer Methode der körperlichen Gewalt zu einem ver- gäbe staatlichen Daseins entweder bekämpft und verhöhnt oder zu 1 Man denke an Haeckel. Mommsens Römische Geschichte ist das Pamphlet eines Achtundvierzigers gegen „Junker und Pfaffen", mit einer vollkommen irreführenden Darstellung der inneren Entwicklung Roms. Erst Eduard Meyer, „Untersuchungen zur Geschichte der Gracchen" und „Caesars Monarchie und das hat eine unparteiische Geschichte dieser Vorgänge geschrieben. einem Parteigeschäft herabgewürdigt. Aber die Blindheit und Feig- heit des Liberalismus geht weiter. Toleranz wird den zerstören- den Mächten der großstadtischen Hefe gewährt, nich rus von einem anderen weitergegeben. In Parts und London, vor Schweiz wird nicht nur ihr Dasein, sondern auch ihre untergrabende Tätigkeit sorgfältig geschätzt. Die liberale Presse hallt wider von Verwünschungen der Gefängnisse, in denen die Märtyrer der Frei- heit schmachten, und kein Wort fällt zugunsten der zahllosen Ver- teidiger der staatlichen Ordnung bis zum einfachen Soldaten und sprengt, zu Krüppeln geschossen, abgeschlachtet worden sind. 1 Der Begriff des Proletariats, von sozialistischen Theoretikern mit tiert. Er hat mit den tausend Arten strenger und sachkundiger Ar- beit — vom Fischfang bis zum Buchdruck, vom Baumfällen bis zum Führen einer Lokomotive — in Wirklichkeit gar nichts zu tun, wird von fleißigen und gelernten Arbeitern verachtet und als Schimpf empfunden und sollte lediglich dazu dienen, diese dem großstädti- schen Pöbel zum Zwc nung einzugliedern. Erst der Liberalismus, indem er ihn verwe entstand eine armselige Literatur zum icu zur 1 Alt Schopenha uer in seinem Testament eine Summe für die {bestimmt hatte, die i$£8 iß Berlin gefallen waren — niemand et der Revolution gedacht — , erhob sich unter Führung von über diese Schmach. Aus demselben Geist stammt das bolschewistischen Massenmörder Trotzkt, als ihm die „bürgerlichen" •as den staatlichen Schutz für den Besuch eines Kurortes verweigerten der hatte an ein mit scheue, der Hetzer, der Verbrecher. Es gilt von nun an als modern und überlegen, die Welt von unten zu sehen, aus der Perspektive von Winkelkneipen und verrufenen Gassen. Damals, in liberalen Kreisen Westeuropas und nicht 1918 in Rußland, ist der „Proletkult" ent- standen. Eine folgenschwere Einbildung, halb Lüge, halb Dumm- heit, beginnt sich der Köpfe von Gebildeten und Halbgebildeten zu bemächtigen: „Der Arbeiter" wird der eigentliche Mensch, das eigentliche Volk, der Sinn und das Ziel der Geschichte, der Politik, der öffentlichen Sorge. Daß alle Menschen arbeiten, daß vor allem andere mehr und wichtigere Arbeit leisten, der Erfinder, der Ingenieur, der Organisator, ist vergessen. Niemand wagt es mehr, den Rang, die Qualität einer Leistung als Maßstab ihres Wertes zu betonen. Nur die nach Stunden gemessene Arbeit gilt noch als Arbeit. Und „der Arbeiter" ist zugleich der Arme und Unglückliche, der Enterbte, Hungernde, Ausgebeutete. Auf ihn allein werden die Worte Sorge fruchtbarer Landstriche, seine Mißernten, die Gefahren von Hagel und Frost, die Sorge um den Verkauf seiner Erzeugnisse, an das elende Leben armer Handwerker in Gebieten mit starker Industrie, an die Tragödien kleiner Kaufleute, Hochseefischer, Erfinder, Ärzte, die in Angst und Gefahr um jeden Bissen täglichen Brotes ringen zu Tausenden unbeachtet zugrunde gehen. „Der findet Mitleid. Er allein wird unterstützt, versorgt, [ehr noch, er wird zum Heiligen, zum Götzen der 'eit erhoben. Die Welt dreht sich um ihn. Er ist der Mittelpunkt Wirtschaft und das Schoßkind der Politik. Das Dasein aller ist um seinetwillen da; die Mehrheit der Nation hat ihm zu dienen. Man darf sich über den dummen und dicken Bauern, den trägen Beamten, den betrügerischen Krämer lustig machen, um vom Rich- ter, Offizier und Unternehmer, den bevorzugten Objekten gehässiger Witze, ganz zu schweigen, aber niemand würde es wagen über „den Arbeiter" den gleichen Hohn auszugießen. Alle anderen sind Müßiggänger, nur er nicht. Alle sind Egoisten, nur er nicht. Das gesamte Bürgertum schwingt die Weihrauchfässer vor diesem Phantom; wer auch noch soviel in seinem eigenen Leben leistet, muß vor ihm auf den Knien liegen. Sein Dasein ist über jede Kritik erhaben. Erst das Bürgertum hat diese Art die Dinge 88 DIE WEISSE WELTREVOLUTION zu sehen völlig durchgesetzt, und die geschäftstüchtigen „Volks- vertreter" schmarotzen von dieser Legende. Sie haben sie den Lohn- arbeitern so lange erzählt, bis sie daran glaubten, bis sie sich wirklich mißhandelt und elend fühlten, bis sie jeden Maßstab für ihre Lei- stung und ihre Wichtigkeit verloren. Der Liberalismus gegenüber den Tendenzen der Demagogie ist die Form, in welcher die kranke Gesellschaft Selbstmord begeht. Mit dieser Perspektive gibt sie sich selbst auf. Der Klassenkampf, der gegen sie geführt wird, erbittert und erbarmungslos, findet sie zur politischen Kapitulation bereit, nachdem sie geistig die Waffen des Gegners schmieden half. Nur das konservative Element, so schwach es im 19. Jahrhundert war, kann und wird das Ende in Zukunft verhindern. es denn, der diese Masse der Lohnarbeiter in den großen Städten und Industriegebieten aufgewiegelt, organisiert, mit Schlag- worten versehen, durch eine zynische Propaganda in den Klassenhaß gegen die Mehrheit der Nation hineingetrieben hat? Es ist nicht der fleißige und gelernte Arbeiter, der „ Straubinger" (Vagabund), wie er im Briefwechsel zwischen Marx und Engels voller Verachtung genannt wird. Engels spricht im Brief an Marx vom 9. Mai i85i von dem demokratischen roten und kommunistischen Mob und schreibt am 1 1 . Dezember 1 85 1 an Marx : „Was ist denn noch an dem Gesindel, wenn es verlernt sich zu schlagen?" Der Hand- arbeiter ist nur Mittel für die privaten Ziele der Berufsrevolutio- näre. Er soll sich schlagen, um ihren Haß gegen die konservativen Machte und ihren Hunger nach Macht zu befriedigen. 1 Wollte man nur Arbeiter als Vertreter von Arbeitern anerkennen, so würden die Bänke auf der linken Seite aller Parlamente sehr leer werden. Unter 1 Friedrich Lenz „Staat und Marxismus" (1921, 1 Staaten der heiligen Allianz, vor a Kußland, kämpfte, bevor er um i843 Sozialist wurde, und daß er viel war, seine eigene kommunistische Theorie vom industriellen Proletariat und durch eine ganz andre von der Störung des Zarismus sicherer zu erreichen. Marx nur ißen und >ch bereit zu lassen I DIE WEISSE WELTREVOLU TION 89 Fabrik gearbeitet hätte. 1 Die politische Boheme Westeuropas, in welcher der Bolschewismus sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt, setzt sich aus denselben Elementen zusammen wie die, welche den revolutionären Liberalismus seit 1770 ausgebildet hat. Ob i848 in Paris die Februarrevolution für den „Kapitalismus*' oder die Junischlachten gegen ihn erfolgten, ob Freiheit und Gleich- heit" 1789 die des Mittelstandes, 1793 und 19 18 die der untersten Schichten bedeuten sollten, in Wirklichkeit waren die Ziele der An- stifter dieser Bewegungen und ihre letzten Motive genau die glei- chen, und nicht anders steht es heute in Spanien und morgen viel- leicht in den Vereinigten Staaten. Es ist der geistige Mob, an der Spitze die Gescheiterten aller akademischen Beruf e. die geistigUnf ähigenund seelisch irgendwie Gehemmten, woraus die Gangsters der liberalen und bolschewistischen Auf stände hervorgehen. Die „Diktatur des Prole- tariats", das heißt ihre eigene Diktatur mit Hilfe des Proletariats, soll ihre Rache an den Glücklichen und Wohlgeratenen sein, das letzte Mittel, die kranke Eitelkeit und die gemeine Gier nach Macht zu stillen, die beide aus der Unsicherheit des Selbstgef ühls hervorwachsen, der letzte Ausdruck verdorbener und fehlgeleiteter Instinkte. Unter all diesen Juristen, Journalisten, Schulmeistern, Künstlern, Technikern pflegt man einen Typus zu übersehen, den verhängnis- vollsten von allen : den gesunkenen Priester. Man vergißt den tiefen Unterschied zwischen Religion und Kirche. Religion ist das persön- liche Verhältnis zu den Mächten der Umwelt, wie es sich in Welt- anschauung, frommem Brauch und entsagendem Sichverhalten aus- drückt. Eine Kirche ist die Organisation einer Priesterschaft, die um ihre weltliche Macht kämpft. Sie bringt die Formen des religiösen Lebens und damit die Menschen, die an ihnen hängen, in ihre Gewalt. Sic ist deshalb die geborene Feindin aller anderen Machtgebilde, des Staates, des Standes, der Nation. Während der Perserkriege agi- tierte die Priesterschaft von Delphi für Xerxes und gegen die na- tionale Verteidigung. Cyrus konnte Babylon erobern und den letzten Chaldäerköriig Naboned stürzen, weil die Priesterschaft des Marduk 1 Um so mehr Arbeiter, die sich durch Fleiß und Begabung „hinaufgearbeitet" haben, finden sich im Unternehmertum. Bebel hat das mit wütendem Haß als Verrat an der Arbeiterklasse gebrandmarkt. Nach seiner Meinung führt der „zielbewußte" Weg des Ar- beiters nur über den Parteisekretär zum Massenführer. mit ihm war. Dm sind voll von Beispielen dieser Art, und im und Priestertum nur dann — zuweilen — ein Waffenstillstand, wenn man sich von einem Bündnis gegen dritte den größeren Vorteil versprach- „Mein Reich ist nicht von dieser Welt" ist der tiefe Aus- spruch, der von jeder Religion gilt und den jede Kirche verrät. Aber jede Kirche verfällt mit der Tatsache ihres Daseins den Be- dingungen geschichtlichen Lebens: sie denkt machtpolitisch und materiell-wirtschaftlich ; sie fuhrt Krieg auf diplomatische und mili- tärische Art und teilt mit anderen Machtgebilden die Jugend und Alter, Aufstieg und Verfall. Und vor allem ist Hinblick auf konservative Politik und Tradition in Staat und Gesell- schaft nicht ehrlich und kann es als Kirche gar nicht sein. Alle jungen Se gegen Stand und Rang und für allgemeine Gleichheit eingenom- men. 1 Und die Politik altgewordener Kirchen, so konservativ sie in bezug auf sich selbst sind, ist immer in Versuchung in bezug auf den Staat und die Gesellschaft liberal, demokratisch, sozialistisch, also einebnend und zerstörend zu werden, sobald der Kampf zwischen Tradition und Mob beginnt. Alle Priester sind Menschen und damit wird das Schicksal der Kir- che von dem menschlichen Material abhangig, aus dem sie sich in schneller Folge zusammensetzt. Selbst die strengste Auswahl — und sie ist in der Regel meisterhaft — kann nicht verhindern, daß in Zeiten des gesellschaftlichen Verfalls und revolutionären Ab- baus aller alten Formen die gemeinen Instinkte und das gemeine Denken häufig und selbst herrschend werden. Es gibt in allen der- artigen Zeiten einen Priester pöbei, der die Würde und den Glauben der Kirche durch den Schmutz parteipolitischer Interessen schleift, sich mit den Mächten des Umsturzes verbündet und mit den senti- mentalen Phrasen von Nächstenliebe und Schutz der Armen die Unterwelt zur Zerstörung der gesellschaftlichen Ordnung entfesseln DIE WEISSE WELTREVOLUTION 91 und schicksalhaft verbunden ist. Eine Religion ist das, was die Seele der Gläubigen ist. Eine Kirche ist so viel wert, als das Priester- material wert ist, aus dem sie sich zusammensetzt. Am Anfang der französischen Revolution stehen neben dem Schwärm verkommener Abbes, die seit Jahren gegen Monarchie, Autorität und Stand spöttisch schrieben und redeten, der entlaufene Mönch Fouche und der abtrünnige Bischof Talleyrand. beide Königsmörder und Millionendiebe, napoleonische Herzöge und Landesverräter. Seit i8i5 wird der christliche Priester immer häufiger Demokrat, So- zialist und Parteipolitiker. Das Luthertum, das kaum, und der Puri- tanismus, der gar keine Kirche ist, haben als solche keine destruk- tive Politik getrieben. Der einzelne Priester ging für sich „ins Volk" und zur Arbeiterpartei, redete in Wahlversammlungen und Parlamenten, schrieb über „soziale" Fragen und endete als Dema- goge und Marxist. Der katholische Priester aber, stärker gebunden, zog die Kirche auf diesem Wege hinter sich her. Sie wurde in die Agitation der Parteien verflochten, zuerst als wirksames Mittel und zuletzt als Opfer dieser Politik. Eine katholische Gewerkschaftsbewegung mit sozialistisch-syndikalistischen Tendenzen gab es in Frankreich schon unter Napoleon III. In Deutschland entstand sie seit 1870 aus der Furcht, daß die roten Gewerkschaften die Macht über die Massen der Industriegebiete allein eroberten. Und alsbald verständigte sie sich mit diesen. Alle Arbeiterparteien sind sich ihrer Gemeinsamkeit dunkel bewußt, so sehr die Führergruppen einander hassen. Es ist lange her, seit der weltpolitische Blick Leos XIII. Schule machte und in Deutschland ein echter Kirchenfürst wie Kardinal Kopp den Klerus regierte. Damals war die Kirche sich bewußt, eine konservative Macht zu sein, und wußte sehr genau, daß ihr Schicksal mit dem der übrigen konservativen Mächte, der staatlichen Autorität, der Monarchie, der gesellschaftlichen Ordnung und des Eigentums verbunden war, daß sie im Klassenkampf unbedingt gegendie liberalen und sozialistischen Mächte auf der „rechlen" Seite stand und daß davon die Aussicht abhing, das revolutionäre Zeitalter als Macht zu überdauern. Das hat sich schnell geändert. Die seelische Disziplin ist erschüttert. Die pöbelhaften Elemente im Priestertum tyrannisieren durch ihre Tätigkeit die Kirche bis in die höchsten Stellen hinauf, und diese müssen schweigen, um ihre Ohnmacht nicht vor der Welt zu enthüllen. Die Diplomatie der Kirche, einst vornehm von oben her und über Jahrzehnte hin die Dinge taktisch beurteilend, hat in weiten Gebieten den gemeinen Metboden der Tagespolitik Platz gemacht» der parteimäßig- demokratischen Agi- tation von unten mit ihren nichtswürdigen Kniffen und verlogenen Unterwelt. Man hat das überlieferte Streben nach welt*- Macht auf den kleinen Ehrgeiz von Wahlerfolgen und Bünd- nissen mit anderen Pöbel parteien zum Zweck materieller reduziert. Der Mob in der Priesterschaft, einst streng gezüge' heute mit seinem proletarischen Denken die Herrschaft über den wertvollen Teil des Klerus, welcher die Seele des Menschen für wichtiger hält als seine Wahlstimme und metaphysische Fragen ern- ster nimmt als demagogische Eingriffe in das Wirtschaftsleben. Taktische Fehler wie in Spanien, wo man sich einbildete, das Schick- sal von Thron und Altar trennen zu können, wären vor einigen Jahr- zehnten nicht gemacht worden. Aber seit dem Ende des Weltkrieges sank vor allem in Deutschland die Kirche, die eine alte Macht mit alten und starren Traditionen ist und als solche das Niedersteigen zur Gasse mit dem Ansehen unter den eignen Gläubigen teuer be- zahlen muß, durch die Agitation minderwertiger Anhänger zum in Deutschland einen katholischen Bolschewismus, ier ist Lutherschüler Karlstadt und as Münzer und der Staatssozia- imon, lt sehr wider Wissen und rüstung und auf scholastische en in Schaftsfragen in aller Heimlichkeit ihr Wesen trieben. des Thomas von Aquino steckt tem auf priesterlich-moralische Ent- e zurück, die im nationaldko- vom noch in DIE WEISSE WELTREVOLÜT10N 93 munistischen Manifest! Die christliche Theologie ist die Großmutter des Bolschewismus. Alles abstrakte Grübeln über Wirtschaftsbegriffe fern von aller wirtschaftlichen Erfahrung führt, wenn es mutig und ehrlich zu Ende geführt wird, irgendwie zu Vernunftschlüssen gegen Staat und Eigentum, und nur der Mangel an Blick erspart es diesen materialistischen Scholastikern zu sehen, daß am Ende ihrer Ge- dankenkette wieder der Anfang steht: Der verwirklichte Kommunis- mus ist autoritäre Bürokratie. Um das Ideal durchzusetzen, braucht man die Diktatur, die Schreckensherrschaft, die bewaff- nete Macht, die Ungleichheit von Herren und Sklaven, Befehlenden und Gehorchenden, kurz das System von Moskau. Aber es gibt zweierlei Kommunismus : Den einen, gläubigen, aus doktrinärer Be- sessenheit oder weibischer Sentimentalität, der weltfremd und welt- feindlich den Reichtum der lasterhaft Glücklichen und zuweilen auch die Armut der braven Unglücklichen verwirft. Er endet ent- weder in nebelhaften Utopien oder mit dem Rückzug auf Askese, Kloster, Boheme und Landstreichertum, wo man die Belanglosig- keit all es Wirtschaftsstrebens predigt. Der andere, „weltliche", real- politische aber will durch seine Anhänger entweder aus Neid und Rache die Gesellschaft zertrümmern, weil sie ihnen auf Grund ihrer Persönlichkeit und ihrer Talente einen niedrigen Platz anweist, oder durch irgendein Programm die Massen hinter sich bringen, um seinen Willen zur Macht zu befriedigen. Aber auch das verbirgt sich gern hinter dem Mantel einer Religion. Auch der Marxismus ist eine Religion, nicht in der Absicht seines Urhebers, aber in dem, was das revolutionäre Gefolge daraus ge- macht hat. Er hat seine Heiligen, Apostel, Märtyrer, Kirchenväter, seine Bibel und seine Mission ; er hat Dogmen, Ketzergerichte, eine Orthodoxie und Scholastik und vor allem eine volkstümliche Moral oder vielmehr zwei — gegenüber Gläubigen und Ungläubigen — wie nur irgendeine Kirche. Und daß seine Lehre durch und durch materialistisch ist — macht das einen Unterschied? Sind alle die Priester, die sich agitatorisch in Wirtschaftsfragen mischen, es we- niger? Was sind denn christliche Gewerkschaften? Christlicher Bol- schewismus, nichts anderes. Seit dem Beginn des rationalistischen Zeitalters, seit 1700 also, gibt es Materialismus mit und ohne christ- liche Terminologie. Sobald man die Begriffe Armut, Hunger, Elend, 94 DIE WEISSE W EL T REVO LV T 10 N Arbeit und in den mit dem moralischen II: und unrecht — und ierungen also eintritt, ist man Materialist, mit innerer Notwendigkeit an Stelle des Hochaltars das Partei- sekretariat, an Stelle des Opferstockes die Wahlkasse, und der Ge~ srer i iaterialismus der späten großen Städte ist eine Form des praktischen Urteilens und Handelns, mag daneben der „Glaube** sein wie er will. Es ist die Art, die Geschichte, das öffentliche und zu sehen und unter Wirtschaft zu verstehen, sondern die Methode, mit wenig Anstrengung soviel Geld und Genuß als mög- lich zu erbeuten: panem et circenses. Den meisten kommt es heute gar nicht zum Bewußtsein, wie materialistisch sie denken und sind. Man kann eifrig beten und beichten und beständig das Wort „Gott" im Munde führen, 1 man kann sogar Priester von Beruf und Über- zeugung und trotzdem Materialist sein. Die christliche Moral ist wie jede Moral Entsagung und nichts anderes. 2 Wer das nicht emp- findet, ist Materialist. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" — das heißt, diesen harten Sinn des Lebens nicht als Elend empfinden und nicht durch Parteipolitik zu umgehen suchen. Aber für proletarische Wahlpropaganda ist der Satz aller- dings nicht brauchbar. Der Materialist will lieber das Brot essen, das andere im Schweiße ihres Angesichts erarbeitet haben, der Bauer, der Handwerker, der Erfinder, der Wirtschaftsführer. In- 1 Gerade diese Mode unter heutigen Rednern und Schreibern beweist,